Bundestagswahl 2021Kommunen

Direktkandidaten im Interview: Dr. Carsten Brodesser (CDU)

Oberberg – Für die kommende Bundestagswahl haben die Oberberg-Nachrichten.de wieder einige Interviews mit den in Oberberg zur Verfügung stehenden Kandidaten geführt. Allen neun Kandidaten wurde zur gleichen Zeit die gleichen Konditionen gesendet und innerhalb des Interviews Fragen nach dem gleichen Fragebogen gestellt (hier nachzulesen).

Die am 26. September zur Wahl stehenden Direktkandidaten sind:

  • Dr. Carsten Brodesser, CDU
  • Michaela Engelmeier, SPD (stand leider nicht für ein Interview zur Verfügung)
  • Jörg von Polheim, FDP (hier geht es zum Interview)
  • Bernd Rummler, AfD (hier geht es zum Interview)
  • Sabine Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (stand leider nicht für ein Interview zur Verfügung)
  • Diyar Agu, DIE LINKE (stand leider nicht für ein Interview zur Verfügung)
  • Philipp Ernst Wüster, DIE PARTEI (stand leider nicht für ein Interview zur Verfügung)
  • Christian Abstoß, Freie Wähler (hier geht es zum Interview)
  • Markos Pavlidis, DieBasis (hier geht es zum Interview)

Das dritte Interview führten wir am 12. August mit Dr. Carsten Brodesser. Da die Interviews zum Teil etwas länger geraten sind, orientieren Sie sich gerne an unserem Inhaltsverzeichnis:

Inhaltsverzeichnis

  1. Kurzvorstellung
  2. Persönliche politische Schwerpunkte
  3. Kanzler-Kandidaten/-Kandidatinnen
  4. Bundeswehreinsätze
  5. Nebeneinkünfte
  6. Spaltung der Gesellschaft
  7. Wirtschafts-/Finanzpolitik
  8. Umweltpolitik
  9. Umwelt-/Verkehrspolitik
  10. Coronapolitik
  11. Corona und Wirtschaft
  12. Flüchtlingspolitik
  13. Ergänzung

(1) Kurzvorstellung

Würden Sie sich zunächst einmal kurz vorstellen? (Name, Alter, Beruf und polit. Zugehörigkeit und Erfahrungen)

“Erstmal herzlichen Dank für die Einladung. Mein Name ist Dr. Carsten Brodesser, ich bin noch 53 Jahre alt, ich werde im September 54. Ich komme gebürtig und wohnhaft aus Lindlar, das liegt ja am westlichen Rand des Oberbergischen Kreises. Ich bin verheiratet mit meiner Frau Mona seit über 20 Jahren und habe drei Kinder, wobei zwei davon erwachsen sind und wir haben einen kleinen Nachzügler, der ist 13. Also insofern sind mir die Themen Familie und Ausbildung, Bildung, tagtäglich vertraut. Ich liebe meine Oberbergische Heimat und Lindlar insbesondere, aber ich finde eigentlich jede Kommune im Oberbergischen Kreis sehr schön. 

Ich bin gelernter Diplom-Volkswirt und habe, bevor ich Berufspolitiker wurde vor vier Jahren, weil ich bin ja erstmalig in den deutschen Bundestag gewählt worden 2017, habe ich über 20 Jahre im Banken-, Versicherungs-, Finanzdienstleistungs- und Immobilienumfeld gearbeitet, habe viele Fach- und Führungspositionen durchlaufen, habe eine Menge Erfahrungen gesammelt, habe viele Menschen geführt, habe viel Verantwortung übernommen in meinem Beruf und bin zur Politik gekommen eigentlich schon in jungen Jahren. 

Ich bin seit dem 16. Lebensjahr Mitglied in der Jungen Union, das ist ja die jugendpolitische Organisation der CDU, war aber auch davor schon sehr politisch interessiert. Also meine Eltern haben sich immer Sorgen gemacht, dass ich mir nicht die Sendung mit der Maus angucke, sondern irgendwelche Debatten im Bundestag schon mit sieben oder acht Jahren. Die liefen damals noch in schwarz-weiß, wurden manchmal übertragen. Ich fand das immer sehr spannend, so diesen politischen Wettstreit und auch das Ringen um die besseren Argumente nachvollziehen zu können, war aber damals politisch gar nicht so stark verortet. 

Also ich hätte jetzt damals nicht sagen können im Alter von 12, 13, 14 Jahren, dass ich jetzt unbedingt Mitglied der CDU oder der Jungen Union werden möchte, war auch mal bei den Jungen Sozialisten, habe da auch Fußball gespielt, war auch mal aktiv in der Friedensbewegung und habe mich für Umweltthemen sehr stark interessiert, habe aber dann am langen Ende gesagt: Die CDU ist meine politische Heimat und bin dann über die Jugendorganisation, die Junge Union, dann auch in die CDU stärker eingestiegen und habe, bevor ich Kreisvorsitzender der CDU im Oberbergischen Kreis wurde, über 20 Jahre lang auch im Kreisvorstand mitgewirkt, auch als Schatzmeister, habe mich da mit den sogenannten Innereien der Partei beschäftigt, mit der Finanzierung von Wahlkämpfen und der gesamten Struktur, weil Politik braucht ja auch Struktur. Und weil ich eben Finanzfachmann bin, passte das ganz gut zusammen. 

Dann ist es ja manchmal von Zufällen abhängig und ein Zufall war dann eben in 2015, dass mein Vorgänger, Klaus Peter Flosbach, als Kreisvorsitzender gesagt hat: >Ich möchte mein Amt abgeben<. Ich wurde angesprochen, es wurden viele angesprochen, es gab eine Wahl, wie das in einer demokratischen Partei üblich ist, ich habe dann die Mehrheit bekommen, wurde dann Kreisvorsitzender der CDU. 

Wenig später entschied sich der damalige Bundestagsabgeordnete Klaus Peter Flosbach, der hat das auch in Personalunion gemacht, also politisches Amt und Mandat, dann nicht mehr für den deutschen Bundestag zu kandidieren. Dann wurde wieder gefragt: >Wer möchte denn Kandidat werden?< – Das ist ja kein Amt, was vererbt wird, sondern das muss dann auch wieder gewählt werden. Und dann habe ich auch wieder die Wahl zum Kandidaten gewonnen und dann waren Sie Kandidat und dann gab es die Bundestagswahl 2017. 

Und dann fing für mich eigentlich ein komplett neues Leben an, zunächst mal räumlich, weil Sie ja Ihren Wohnort temporär verlassen müssen. Sie pendeln immer zwischen Wahlkreis und Parlamentssitz Berlin. Das ist am Anfang eine Umstellung, insbesondere wenn Sie Familie haben. Das kann man sich zwar vorstellen, aber wenn es dann soweit ist, dann ist es ganz anders. Das fängt an mit Wohnungssuche, Sie müssen sich im Raum orientieren, haben ganz neue Menschen um sich herum. Sie müssen Regeln lernen, also wie bei einem Jobwechsel auch, Sie kommen in eine ganz neue Kultur, eine ganz neue Atmosphäre und das war eine enorm herausfordernde, spannende Zeit. 

Mittlerweile habe ich mich da gut eingelebt. Ich sehe das auch als absolute Bereicherung für mein Leben, pendeln zu dürfen. Also ich vermisse meine Frau und meine Kinder auch vom ersten Tag an, aber ich finde es einfach eine ungeheure Horizonterweiterung, auch mit den Argumenten und den Erfahrungen aus dem Wahlkreis im Rucksack, jetzt mal bildlich gesprochen, Parlamentsarbeit machen zu dürfen. 

Und das hat zunächst einmal nichts mit Parteipolitik zu tun, sondern mit der Vertretung von Interessen. Und es ist nunmal so, und Gott Lob es ist so, dass die Menschen unterschiedliche Wahrnehmungen haben, unterschiedliche Wahrheiten für sich selbst reklamieren, auch unterschiedliche Prioritäten setzen – Also wenn Sie sich mit einem Landwirt unterhalten, hat der eine andere Priorität, als wenn Sie sich mit einem Mediziner, mit einem Facharbeiter oder mit einer Kindergärtnerin unterhalten, aber alle haben das gleich wichtige Interesse, dass sie vernünftige Rahmenbedingungen haben für ihr tägliches Leben. Und Politik ist ja ein Spiegelbild – sollte es zumindestens sein – des täglichen Lebens. 

Deswegen ist es mein Anspruch, und das ist sicherlich ein großer Anspruch, aber mein Anspruch, dem ich in den letzten vier Jahren immer versucht habe gerecht zu werden, dass ich alle Oberbergerinnen und Oberberger unabhängig von Parteizugehörigkeit, unabhängig von politischer Meinung, oder ob er wahlberechtigt ist oder nicht, oder Deutscher ist oder Ausländer ist, ich sage mal, als meinen Kunden zu betrachten. Das ist eine Dienstleistung. Politiker, so ist zumindest mein Anspruch, ist eine Dienstleister-Funktion. Das kommt ja auch in dem Wort >Volksvertreter< zum Ausdruck: Wir vertreten die Meinung des gesamten Volkes, und nicht des Wahlvolkes, sondern auch von nicht-wahlberechtigten Kindern, von nicht-wahlberechtigten Bürgern mit Migrationshintergrund oder Ausländern. 

Mir geht es tatsächlich ganz klar darum, dass die Menschen die bestmöglichen Lebensbedingungen haben. Und das ist ein verdammt herer Anspruch und oftmals gibt es Situationen, wo sich bestimmte Ziele auch widersprechen und wechselseitig ausschließen. Und an der Stelle wird dann Politik auch oftmals zum Streit oder eben auch zur intensiven Diskussion, wo Sie abwägen müssen: Welches Ziel ist Ihnen denn jetzt wichtiger? 

Das ist ja ganz profan, wenn ich sage: Menschen fahren mit PKWs von A nach B, mit einem alten, stinkenden Dieselmotor, und das ist ein Bedürfnis, eine Wahrheit des einzelnen Autofahrers, der sagt: >Ich muss von A nach B kommen. Ich habe auch kein Geld, mir ein umweltfreundliches Fahrzeug anzuschaffen. Ich habe auch keine Infrastruktur, wo ich alle 50 Meter einen Ladepunkt hätte. Und ich kann mir auch nicht vorstellen ein Hybridfahrzeug anzuschaffen, weil im Winter komme ich damit 50 Kilometer weit und komme nicht wieder zurück.< Dann ist das die Wahrnehmung und die Wahrheit dieses einzelnen Bürgers. 

Und auf der anderen Seite gibt es aber auch die Wahrnehmung derer, die sagen: >Wir müssen im Rahmen des Klimaschutzes und der Energiewende alles daran setzen, um Menschen vom Verbrennungsmotor in alternative Antriebe zu bringen, was jetzt erstmal vordergründig Elektromobilität ist<. An diesem einfachen Beispiel erkennen Sie, dass Politik eben manchmal nicht einfach ist und Sie als Abgeordneter in ihrer Entscheidung, die Sie ja als Gesetzgeber oder als Teil der gesetzgebenden Versammlung treffen immer abwägen müssen: Ist das zum Wohle der Mehrheit? 

Manchmal vielleicht auch in der Wahrnehmung zum Wohle der gesamten Bevölkerung, dass ich auch ein Stück weit über den Tellerrand hinweg gucken, weil wir haben ja nicht nur Verantwortung für 274.000 Bürgerinnen und Bürger im Oberbergischen Kreis, sondern oftmals geht es ja auch um Entscheidungen, die Deutschland, Europa oder sogar die ganze Welt betreffen. Ich will das jetzt nicht überhöhen oder aufladen, aber das sind manchmal wirklich auch Gewissensentscheidungen, die Sie da treffen. 

Kurzum, es ist eine total interessante, herausfordernde, sehr beglückende, manchmal aber auch sehr frustrierende Tätigkeit. Sie müssen eine hohe Frustrationstoleranz mitbringen, weil Sie ja auch als engagierter Politiker etwas bewegen wollen und stellen dann im Politikbetrieb manchmal fest, dass das, was Sie wollen, ja auch einer Mehrheit bedarf. Also nur, weil Carsten Brodesser das jetzt ändern möchte, weil er glaubt, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger im Oberbergischen Kreis auch wollen, heißt das ja noch lange nicht, dass das die 708 anderen Parlamentarier im Bundestag auch wollen. 

Und da sind Sie dann eben auch bei Fraktionsdisziplin, da sind Sie bei Koalitionsverträgen, wo von vornherein auch Kompromisse abgearbeitet werden müssen und das haben wir alle irgendwann mal in der Transaktionsanalyse gelernt, dass Kompromisse oftmals zumindest empfunden schlecht sind, aber notwendig sind, also im Zusammenleben von Menschen. Das ist in Partnerschaften so, in Ehen so, in Familien so, in Vereinen so, dass Kompromisse geschlossen werden müssen, damit es funktioniert. 

Insofern ist Politik grundsätzlich nichts anderes wie die gesamte Gesellschaft. Man muss sich arrangieren und man muss Kompromisse schließen. Weil die Durchsetzung von Maximalforderungen ist zwar manchmal wünschenswert, aber naiv. In diesem Spannungsverhältnis bewegt man sich als Politiker und ich finde das ungeheuer lehrreich und ungeheuer anstrengend auch, aber auch ungeheuer beglückend. Das ist so, was ich dazu sagen würde.”

(2) Persönliche politische Schwerpunkte 

Wo sehen Sie Ihre persönlichen politischen Schwerpunkte? (Kurz und knapp)

“Wenn Sie in ein Parlament kommen, dann ist das Parlament auch wie ein Unternehmen, welches auch arbeitsteilig organisiert ist. Es gibt erstens die Aufteilung in Fraktionen, das hat etwas damit zu tun, welcher politischen Couleur Sie entstammt sind, welcher Partei Sie angehören. Es gibt aber auch innerhalb der Fraktionen Arbeitsteilung, weil nicht jeder die gleichen Fähigkeiten und die gleichen Interessen einbringt. 

Es ist so ein bisschen wie die Leistungskurswahl an der Schule. Sie bekommen als erstes ein Blatt Papier vorgelegt, da sind 23 Kästchen drauf und auch so ein paar Unterkästchen und dann dürfen Sie zwei Kästchen ankreuzen oder auch mehr Kästchen ankreuzen, welche Schwerpunkte Sie denn sich selber geben. Und das hat erstmal sehr viel mit ihrer eigenen Erfahrung, mit ihrer eigenen Berufserfahrung, aber auch mit eigenen Interessen zu tun. 

Insofern lag das bei mir nahe, dass ich gesagt habe: Ich möchte gerne Finanzpolitik machen, weil da geht es eben unter anderem nicht nur um Steuern, wo ich überhaupt keine Expertise habe. Ich bin kein Steuerberater, sondern ich bin Volkswirt und ich habe viel im Finanzdienstleistungsbereich gearbeitet; Da geht es um Kapitalmarktregulierung, da geht es um Rahmenbedingungen wie Altersvorsorge funktioniert, da geht es um Rahmenbedingungen wie Banken funktionieren, wie Mittelstand Kredite bekommt, also das sind ganz wichtige Themen, die aber nicht jeden interessieren, aber die auch notwendig sind. 

Und das zweite Thema, was ich gewählt habe, war dann >Menschenrechte und Humanitäre Hilfe<, wo man ja sagt: >Das Eine hat mit dem Anderen ja gar nichts zu tun<. Das entspringt so ein bisschen meiner persönlichen Auffassung, dass wir auch eine Verantwortung tragen als Menschen einer mitteleuropäischen Industrienation, die einen hohen Lebensstandard hat, die auch eine Verantwortung haben gegenüber Menschen, denen es weniger gut geht. 

Ich glaube wir leben in einer wirklich großen Komfortzone – also es gibt viele Menschen, denen es schlecht geht, auch leider Gottes in Deutschland – es gibt aber auch sehr, sehr viele Menschen auf der Welt, die sich wünschen würden in Deutschland leben zu dürfen, weil sie derzeit politisch verfolgt sind, weil ihre Menschenrechte eingeschränkt sind, weil sie Hunger haben, weil sie unter klimatischen Bedingungen leben, die ihnen Leben mit Perspektive eigentlich nicht ermöglichen. Und ich glaube aufgrund dieses Wohlstandgefälles erwächst uns auch eine Verantwortung gegenüber diesen Menschen. 

Ich kann als Carsten Brodesser nicht von heute auf morgen die Bedingungen der Flüchtlinge auf Lesbos ändern. Ich kann von heute auf morgen nicht die Christenverfolgung in China unterbinden. Ich kann auch nicht von heute auf morgen die Inhaftierung eines iranischen Lehrers verhindern, der aufgrund seines eingeforderten Demonstrationsrechtes inhaftiert ist. 

Ich kann mich aber sehr wohl als Menschenrechtspolitiker dafür einsetzen, dass diese Menschen Gehör finden. Ich kann mich dafür einsetzen, auch persönlich, dass ich eine Patenschaft übernehme für einen iranischen Menschenrechtler und im Rahmen eines parlamentarischen Patenschaftsprogrammes im Grunde genommen meine Möglichkeiten einsetze, um immer wieder die Menschenrechte für diesen einzelnen Menschen einzufordern und vielleicht dazu beizutragen, dass er Gehör findet und dass die Weltöffentlichkeit auch davon Notiz nimmt. Ich kann auch, indem ich mich mit den Lebensbedingungen der Flüchtlinge auf Lesbos auseinandersetze, zumindest meinen kleinen Teil dazu beitragen, dass die humanitäre Hilfe dort unten zielgerichtet ankommt und dass die Menschen menschenwürdig untergebracht werden und wenn jetzt der Herbst und der Winter kommt eben nicht wieder in windigen Zelten frieren müssen. 

Da kommt auch sehr stark eben dieses Momentum der Frustrationstoleranz raus, dass Sie viele Dinge gerne sofort ändern würden, aber ich kann eben nicht morgen einen Termin beim chinesischen Staatspräsidenten bekommen und ihn auf die Menschenrechtsverletzungen in China aufmerksam machen. Aber ich finde es schon wichtig, dass man neben seiner normalen politischen Tätigkeit auch über den Tellerrand hinaus guckt. Das ist zumindestens mein Anspruch, weil ich auch dem christlichen Menschenbild verpflichtet bin. 

Dann bin ich noch stellvertretendes Mitglied im Petitionsausschuss. Da bin ich aber erst später zu gekommen, weil man jemanden brauchte. Das finde ich total spannend, weil das eigentlich die direkteste Form der Demokratie ist. Bürger stellen Forderungen an die Politik und zwar ungefiltert. Und Sie beschäftigen sich mit diesen Petitionen. Das können manchmal ganz pragmatische Dinge sein, wie: >Meine Krankenkasse hat mir meinen Zahnersatz nicht erstattet. Ich petiere dafür, dass ich einen höheren Zuschuss bekomme< oder >Ich plädiere dafür, dass ich im Sozialsystem irgendwo eine Verbesserung bekomme<. 

Die Behandlung dieser Einzelanliegen geschieht sehr häufig über die Fraktionsgrenzen hinweg, also man beschäftigt sich so ein Stück weit als Anwalt für den Bürger und versucht im System unseres Staates irgendwo eine Lösung zu finden. Das finde ich ungeheuer lehrreich, weil Sie werden mit Dingen konfrontiert, die Sie vorher gar nicht gekannt haben. Ich bin ja auch nur ein Mensch und habe aber auch in diesen vier Jahren so viel neues gelernt. Deswegen war das auch eine absolut bereichernde Zeit für mich persönlich. 

Ich kam aber eben zu dem Thema Arbeitsteilung: Das führt dann unweigerlich dazu, dass Sie, wenn Sie arbeitsteilig unterwegs sind, auch verpflichtet sind geradezu sich auch mit den anderen Fachpolitikern regelmäßig auszutauschen. Weil es zu dieser Situation kommt: Sie sind eine Woche in Berlin und dann kommen Sie am Wochenende nach hause und, ich mache das mal bildlich, Sie stehen Sonntagmorgens bei Ihrem Bäcker und holen die Brötchen und dann stehen Sie in der Schlange, auch wegen Corona, und dann kommen die Leute und sprechen Sie an und sagen: >Da müssen Sie aber jetzt dafür sorgen, dass hier der Hausarzt einen Praxisnachfolger findet< oder >Da müssen Sie was für tun, dass hier die Landstraße gebaut wird oder die Bundesstraße umgelegt wird<, >Da müssen Sie was für tun, dass hier die Motorräder nicht so vorbeifahren< und > Da müssen Sie was für tun, dass hier häufiger Polizei patrouilliert, weil hier war wieder eine Kneipenschlägerei<. 

Das sind alles Themen, wo ich nicht originär der fachpolitische Ansprechpartner für bin. Das unterscheiden die Leute aber nicht. Die sagen: >Du bist mein Abgeordneter und deshalb gebe ich dir jetzt diese Anforderung und ich erwarte von dir, dass du das löst<. Die sind zwar fair und sagen >Du kannst das nicht von heute auf morgen lösen, aber kümmer dich bitte darum<. Und wenn Sie sich kümmern wollen, müssen Sie sich eine Kompetenz aneignen. 

Sie haben zwar nie die tiefergehende Kompetenz, dass Sie jetzt die neuen gesundheitspolitischen Gesetze schreiben oder die innenpolitischen Gesetze schreiben, aber Sie tauschen sich mit Ihren Kollegen im Regelfall aus einer Landesgruppe aus und die sind so organisiert, dass wir die Gesamtfraktion aufteilen nach Landesgruppen, sodass sich die nordrhein-westfälischen Abgeordneten der CDU ein Mal die Woche treffen, entweder digital oder physisch, und erzählen sich wechselseitig, welche neuen Initiativen sind denn unterwegs und was könnte interessant sein für die anderen. 

Und die, die nicht die Fachpolitiker sind, sagen: >Mich hat am Wochenende jemand angesprochen, wie das denn jetzt mit den Pandemieregeln ist. Warum ist das denn nicht anders gelaufen als es jetzt ist?< und dann gibt es einen Austausch, sodass alle zumindest ein Grundwissen haben. Und andere Parteien machen das ähnlich und das ist auch sinnvoll. 

Das heißt aber andererseits auch, dass Sie sich verlassen müssen aufeinander, dass Sie eine hohe Verantwortung haben für Ihren Teilbereich, weil 200 andere Kollegen vertrauen Ihnen in Ihrer Expertise. Die sagen: >Wenn du das ordnungsgemäß gemacht hast, das Gesetz, um beispielsweise den Anleger vor Anlegerbetrug zukünftig besser zu beschützen, dann gib uns doch mal einen kurzen Abriss darüber: Was wird sich ändern? Wo sind die Verbesserungen? Wo sind vielleicht die Problemfelder? Aber wenn du das guten Gewissens eingebracht hast, dann hast du dich an der Gesetzgebung beteiligt, dann stimmen wir dir auch in Gänze zu und dann entsteht auch eine Fraktionsmeinung<. 

Und so wird eigentlich – ich vermute in allen Parteien, weil auch die sind ja arbeitsteilig aufgegliedert in Ausschüssen, es gibt zusätzlich zum Plenum die Ausschussarbeit – der Finanzausschuss, in dem ich tätig bin, und der Menschenrechtsausschuss, die spiegelbildlich besetzt mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen sind wie im Parlament, die sind also wie kleine Parlamente. Und da findet die tatsächliche Gesetzgebung statt. 

Das Vorstellen im Bundestag, im großen Plenum, wo alle Bürgerinnen und Bürger immer sagen: >Wo sind die denn schon wieder? Da sitzen ja wieder nur 50 Leute<, das ist eigentlich nur noch ein Schauspiel. Also ich will das nicht kleinreden, das ist nochmal ein Verteidigen des Gesetzentwurfs, aber der Gesetzentwurf ist dann eigentlich schon erarbeitet worden in den Ausschüssen und da findet die tatsächliche Gesetzgebung statt. 

Und da kommt dem einzelnen Abgeordneten, der ist zwar einer von vielen, aber schon in seinem Fachbereich eine hohe Verantwortung bei. Und das war auch am Anfang ein Umstand, den Sie lernen müssen, weil Sie gehen ja als normaler Bürger, als Nicht-Berufspolitiker, da erstmal naiv-optimistisch rein und sagen: >Ich verändere morgen die Welt!< Und dass Sie sich dann eben nicht nur im Raum orientieren müssen, ist ja auch eine große Verwaltung, neue Wege, dann biegen Sie mal falsch ab, dann stehen Sie irgendwo in einem Raum, wo Sie nicht mehr weiter wissen – also ich habe mich die ersten sechs Monate auch nur verlaufen – und dann müssen Sie sich an Menschen orientieren und an Regeln orientieren. Das bedarf einer gewissen Zeit und dann kamen eben auch Sonderereignisse hinzu, die dazu geführt haben, dass diese Legislaturperiode eine ganz andere Qualität hatte als die 18 Legislaturperioden vorher. 

Wenn Sie sich mit erfahreneren Kollegen unterhalten haben, die dann vielleicht schon mehrere Jahre im Parlament gesessen haben, die haben Ihnen dann auch gesagt: >Mensch, Carsten, da hast du dir aber eine interessante Legislaturperiode ausgesucht<. Also erstmal mit dem Einzug einer neuen Partei in den deutschen Bundestag, die ein unsägliches Klima dort hineingetragen haben zum Thema Debattenkultur und zum Thema: Gehts hier eigentlich um Gesetzgebung zum Wohle des Volkes oder gehts hier nur um Schlechtreden und Destabilisierung? 

Das war eine ganz neue Debattenkultur, aber dann ging es eben auch um so Themen wie Pandemie, was uns ja seit spätestens Anfang letzten Jahres beschäftigt und vor allem im Tagesgeschäft auch beschäftigt, weil Sie ja neben Ihrem normalen Pensum – Das ist ja wie eine Arbeitsliste, die Sie abarbeiten. Wenn Sie Regierungspartei sind, arbeiten Sie einen Koalititonsvertrag ab. 

Da hat also CDU/CSU und SPD beschlossen: Wir wollen folgende Dinge ändern. Das wurde aufgeschrieben, das war ein Vertrag und der Vertrag wird abgearbeitet. Und das wurde dann in den letzten dreieinhalb Jahren abgearbeitet und dann kam die Pandemie und dann wurde auf einmal eine ganz neue Gesetzgebung erforderlich. Also es mussten ja Regeln erlassen werden, auf deren Grundlagen Verordnungen erlassen werden können und das war eine zusätzliche Herausforderung. 

Also langweilig wurde mir nicht in den letzten dreieinhalb Jahren und das war eine zusätzliche Herausforderung, wo Sie dann auch manchmal an die Grenzen der Belastbarkeit gegangen sind. Und jetzt kommt eben eine ganz neue Qualität noch hinzu. Das ist eine berechtigte und auch notwendige Fokussierung auf ein Thema, das eigentlich auch schon immer da war und das ist das Thema Klimawandel, wo sich die Parteien im politischen Wettstreit ja jetzt auch – ich will nicht sagen >wechselseitig überholen<, sondern darum streiten: Was ist denn der vernünftige Weg mit diesem Thema umzugehen? 

Und das führt zu einer weiteren Zuspitzung, einer Polarisierung in der öffentlichen Meinung – auf einmal ist auch die gesamte Gesellschaft politisch aufgeladen, was ja grundsätzlich sehr positiv ist – weil die Rahmenbedingungen sich geändert haben. Wir leben in einer Pandemie und in einem gefühlten und einem wahrhaftig gewordenen, greifbaren Klimawandel und daraus entsteht auch eine Forderung an die Politik: Ändere das. 

Weil die Menschen haben alle die Sehnsucht nach Normalität und die wollen wieder ohne Maske ins Restaurant gehen, die wollen sich begegnen und sich nicht überlegen, ob man die Faust aneinander schlägt oder die Fußspitzen berührt, sondern, wenn man sich kennt, vielleicht auch umarmt oder, je nachdem, wie gut man sich kennt, vielleicht auch ein bisschen bützt, links und rechts. Die Menschen wollen wieder tanzen, die Menschen wollen singen, die Menschen wollen zum Konzert gehen, die Menschen wollen auch wieder arbeiten in einem Umfang, dass es auch wieder Einkommen gibt. Viele Betriebe sind pandemiebedingt nach wie vor auch betroffen, aber wenn sie kurzarbeiten haben Sie weniger Einkommen. Das ist nicht alles vermögenssteuerpflichtig und das ist uns auch bewusst. 

Es macht auch keinen Spaß Parlamentarier zu sein, wenn Sie das alles im Digitalformat machen und wenn Sie 14 Stunden Videokonferenz hinter sich haben, dann ist das anstrengender als wenn Sie 14 Stunden von Saal zu Saal gehen und Menschen begegnen und sich mit denen unterhalten können. 

Und das ist eben auch eine Besonderheit in dieser Legislaturperiode. Ich konnte es mir nicht aussuchen und ich glaube kein Volksvertreter kann sich das aussuchen, sondern Sie müssen es so nehmen, wie es kommt. Sie können ja auch nicht absehen, was in den nächsten vier Jahren passiert. Und das macht auch eine politische Prognose und auch ein Arbeitsprogramm für eine nachfolgende Regierung, gleichwohl, wer diese Regierung stellen wird, nicht einfacher. 

Weil, wenn Sie sich überlegen, wie die Wahrnehmung von der Realität vor drei Jahren war, als der Koalitionsvertrag unterzeichnet war und man war schon dabei ihn abzuarbeiten, da hätte keiner an die Pandemie gedacht und da hätte auch keiner an diese dramatische Verschärfung und Veränderung des Klimawandels gedacht und diese beiden Mega-Themen alleine, ich will Ihnen jetzt keine Angst machen, aber sind Hinweis darauf, dass sich viel verändern kann. Wir können sehr schnell auch wieder in eine Normalität zurückkehren, wobei das die Pandemie hoffentlich betrifft. 

Ich glaube der Klimawandel ist eine Tatsache, der man in den nächsten Jahrzehnten dauerhaft begegnen muss. Der wird nicht verschwinden wie eine Pandemie, sondern der ist da. Der ist auch menschengemacht. Und daraus erwächst eine Verantwortung für Politik, weil Politik Rahmenbedingungen setzt. Und in diesen Rahmenbedingungen müssen Menschen sich bewegen und verhalten. Das ist ein Stück weit vielleicht auch Frustrationstoleranz beim Bürger, weil die Wahrnehmung ist ja oftmals so, dass die Politik alles lösen könnte. Und mitnichten ist das der Fall. 

Das merken Sie ja schon bei der Pandemie, wenn es darum geht: Geld ist genug da und es wird kein Arbeitsplatz verloren gehen und alle werden ökonomisch keine Probleme damit haben. Die Realität sieht ja so aus, dass wir ein Volkseinkommen haben, ein Bruttoinlandsprodukt von über drei Billionen Euro jedes Jahr. Das ist die Wirtschaftsleistung und Sie haben aber einen Staatshaushalt nur in regulären Zeiten von 360, 370 Milliarden. Das macht also gerade nur 12, 13 Prozent aus. Und allein daran erkennen Sie, dass ein Staat nicht alles komplett entschädigen kann, es substituieren kann, sondern es bedarf immer des miteinanders, im wirtschaftlichen jetzt gesprochen. 

Und genauso kann der Staat auch nicht den Klimawandel stoppen. Er kann nur die Rahmenbedingungen setzen und die Menschen, die in diesen Rahmenbedingungen arbeiten, müssen sich nach den Regeln verhalten und dann, in der Folge, kann es gelingen den Klimawandel aufzuhalten, zu bremsen und vielleicht langfristig die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzumildern. Aber mit der Regelsetzung alleine wird das nicht gelingen, sondern Sie müssen auch Menschen und Unternehmen haben, die sich den Regeln dann entsprechend auch verhalten. 

Das ist auch Teil des politischen Wettstreits, dass wir von der CDU glauben, dass es um die richtige Regelsetzung geht, dass wir die Menschen aber mitnehmen müssen und dass wir den Menschen auch die Zuversicht geben, dass sie beides tun können. Dass sie sich ökologisch angemessen richtig verhalten und dass sie gleichzeitig ihr Einkommen erzielen können. Weil ich könnte den Klimawandel sofort bremsen und den CO2-Ausstoß reduzieren oder auf Null setzen, bis auf meine eigene Atmung, wenn ich sage: Ich bewege mich nicht mehr, ich heize nicht mehr und ich produziere nicht mehr. Das sind die drei großen Felder, wo CO2 freigesetzt wird. 

Wenn Winter ist, ist es kalt – ich muss Energie einsetzen, um zu heizen. Das ist ein riesengroßer Bestandteil der CO2-Emmission. Ich produziere Güter, nicht nur Stahl, sondern auch Kunststoffteile, Kaffeekapseln, Plastikflaschen, wo Mineralwasser gespeichert wird, Baustoffe – auch da wird Energie eingesetzt, um Dinge zu verformen und zu produzieren. Da wird auch Energie eingesetzt, was überwiegend noch mit fossilen Energiestoffen produziert wird. Und ich bewege mich als Bürger, ich kann nicht alles zu Fuß oder mit dem Fahrrad machen. 

Wenn ich in Bergneustadt lebe, wo wir jetzt gerade sitzen, und ich möchte aber nach Gummersbach zur Arbeit und es regnet, dann kann ich das mit dem Fahrrad machen, wenn ich rechtzeitig aufstehe, aber die Wahrheit ist eben auch, dass ich mich entweder mit dem öffentlichen Personennahverkehr bewege oder mit meinem individuellen PKW. Und je extensiver eine solche Landschaft ist, desto größer ist die Notwendigkeit auch einer individuellen Mobilität. 

Die Frage ist dann natürlich: Wie ist mein Antrieb? Aber nur zu sagen: >Ich statte jetzt jeden mit einem Elektrofahrzeug aus und der Strom kommt ja aus der Steckdose, woher der Strom dann kommt ist mir egal<, das ist ja nur die Hälfte der Wahrheit. Und je weiter Sie darüber nachdenken, desto komplexer werden die Zusammenhänge. Und Sie haben nie oder sehr, sehr selten die Möglichkeit an einem Rädchen zu drehen und alles ist gut, sondern Sie müssen immer berücksichtigen, dass wenn Sie an einem Rädchen drehen eben viele andere Räder mitgedreht werden müssen. 

Deswegen sind das Herausforderungen, sowohl Pandemie, als auch Klimawandel, wo die Politik wirklich vor riesigen Herausforderungen steht und wo die Politik alleine das nicht lösen kann, sondern nur im Konsens mit den Menschen. Wir müssen die Menschen mitnehmen, weil wenn die Menschen die Regeln nicht befolgen oder sagen: >Ich steige aus aus diesem Vertrauen von Bürger zu Politik<, dann ist keinem geholfen. Und es ist erst recht nicht damit geholfen, Dinge zu leugnen. Also: >Es gibt keine Pandemie<, >Es gibt keinen Klimawandel< ist keine Option.”

(3) Kanzler-Kandidaten/-Kandidatinnen

Welchen Kanzler-Kandidaten/-Kandidatin würden Sie bevorzugen und warum?

“Das liegt in der Natur der Sache, ich bin Mitglied der CDU, ich bin Parlamentarier der CDU, dass ich den von meiner Partei aufgestellten Kandidaten Armin Laschet natürlich bevorzuge und auch wählen würde.”

Gegen Herrn Laschet liegen auch einige Kritikpunkte vor. Welche Kritikpunkte sehen Sie und warum halten Sie den Kandidaten trotzdem für die richtige Wahl? 

“Ich sehe natürlich die Kritikpunkte, die auch von der vierten Gewalt, die eine ganz wichtige Rolle in unserem Staat spielt, also den Medien, sehe ich natürlich auch und ich glaube es gibt keinen, der diese Fehler mehr bedauert als Armin Laschet selbst. Ich bedauere aber unabhängig von der Diskussion um die Fehler von Armin Laschet, die ich jetzt nicht als gravierend ansehe, da auch einen Wandel in der Wahrnehmung. 

Also mir wäre es lieber über Fähigkeiten und über Inhalte zu diskutieren als darüber, ob jemand vor mittlerweile zwölf Jahren ein Buch geschrieben hat und vergessen hat eine Fußnote zu setzen und da schließe ich ausdrücklich die Diskussion auch um Frau Baerbock mit ein. Ich finde diese Diskussion unsäglich, weil die lenkt eigentlich von den wichtigen Themenfeldern ab. Also: Wie wollen wir denn die großen Herausforderungen bewältigen, die vor uns stehen? 

Da ist keinem mit geholfen, ob ich jetzt über eine Fußnote spreche oder jemand Klausuren nicht korrigiert hat. Und es geht dann auch nicht darüber, ob jemand in einer Situation, wo er sich der Tatsache nicht bewusst war, dass der Bundespräsident gerade spricht, ich sage mal, ein freundliches Gesicht macht. Es ist ein Stück weit aus dem Zusammenhang gerissen, aber ich glaube es gibt keinen, der das mehr bedauert als Armin Laschet selbst. 

Ich glaube, dass Armin Laschet der beste Kanzler für Deutschland wäre, weil er auf Konsens und Kompromiss setzt, auf Ausgewogenheit, auf gesellschaftlichen Dialog und – ich habe das ja eben schon gesagt – es gibt bei diesen großen Themen unheimlich viele Menschen, die davon betroffen sind, eigentlich jeder. Und das ist es wichtig auch einen gesellschaftlichen Konsens zu formen. 

Und aufgrund seines christlichen Menschenbildes glaube ich, ist er wie kein zweiter dafür geeignet, eine ökologische und soziale Marktwirtschaft auch darzustellen. Und bei der Begriffsbildung >ökologische und soziale Marktwirtschaft<, die CDU war ja immer die Partei der sozialen Marktwirtschaft, die Partei von Konrad Adenauer und Ludwig Erhard, und die Ökologie liegt eigentlich auch in unserem Parteibild und auch in unserem christlichen Menschenbild, Bewahrung von Schöpfung. Und ich glaube, er hat bewiesen, er kann diesen gesellschaftlichen Kompromiss schmieden. 

Er ist ein erfolgreicher Ministerpräsident, er führt das größte Bundesland Deutschlands. Und ich sage mal, wenn Sie allein die Größe Nordrhein-Westfalens nehmen, dann wäre das die fünftgrößte Nation in Europa und das ist für mich das Rüstzeug, was man mitbringen muss, um auch Kanzler zu sein.”

Wie beurteilen Sie die Chancen von Armin Laschet?

“Wenn Sie mich vor vier Wochen gefragt hätten, dann wäre ich grenzenlos euphorisch gewesen. Das hängt sehr stark natürlich immer von der tagesaktuellen Wahrnehmung ab. Ich glaube, dass er gute Chancen hat Kanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden, weil ich auch glaube, dass die CDU/CSU sich im Wahlkampf durchsetzen wird und stärkste Fraktion bleiben wird. 

Ich muss allerdings auch einräumen, dass die Diskussion gerade um die falsche Wahrnehmung von scheinbar charakterlichen Fähigkeiten oder Defiziten im Allgemeinen bei Frau Baerbock, bei Herrn Scholz und bei Herrn Laschet nicht unbedingt dazu beigetragen hat, dass die Menschen sich mit den Inhalten beschäftigen, sondern mehr im Moment über Wahrnehmung in den Medien sprechen. 

Das hat derzeit ja auch zu sinkenden Umfragewerten geführt und ich werde sehr häufig damit konfrontiert: >Sie würde ich wählen, Herr Brodesser, die CDU vielleicht auch, aber den Kandidaten jetzt vielleicht gerade nicht<. Das hat sich aber auch immer wieder gewandelt und das macht mich optimistisch, dass es uns eben auch gelingt wieder in eine Themendiskussion zu kommen und den Menschen auch klar zu machen, dass Armin Laschet wirklich ein hervorragender Ministerpräsident ist und auch das Zeug hat, Kanzler zu werden. Davon bin ich fest überzeugt. “

(4) Bundeswehreinsätze 

Bundeswehreinsätze werden sowohl im Inneren als auch Außen von vielen scharf kritisiert. In welchen Situationen halten Sie zunächst einmal Außeneinsätze für gerechtfertigt?

“Es gibt ja so einen prägnanten Spruch: >Die Freiheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt<. Das erschließt sich ja nicht unmittelbar. Es gibt viele Menschen, die sich einfach nicht so viel mit Verteidigungspolitik beschäftigen, die sagen: >Was hat die deutsche Bundeswehr in Afghanistan verloren?<. 

Jetzt muss man wissen, dass wir als Deutschland ja weder eine Insel sind, noch irgendwie einen Inselstatus pflegen, sondern wir sind Teil eines Verteidigungsbündnisses, wir sind Teil einer Völkergemeinschaft und nicht nur eine Nation, die bei der UNO einen Platz besetzt, sondern die auch ihren Einfluss in der Völkergemeinschaft geltend machen möchte, die für Frieden, Freiheit und Demokratie einsteht und die aufgrund dieser Verpflichtungen aus den Bündnissen heraus – Mitglied in der NATO, aber auch Mitglied in der Europäischen Union – auch Verantwortung übernehmen muss.

Wenn wir in Afghanistan nicht gewesen wären, dann hätte Afghanistan in den letzten 20 Jahren eine noch schlechtere Entwicklung genommen als es in den letzten 20 Jahren auch leider Gottes genommen hat. Und man muss resümieren, dass mit dem Abzug der Truppen aus Afghanistan das Land nicht besser wird, sondern sich wahrscheinlich wieder destabilisieren wird, dass Menschen unter erbärmlichen Umständen dort demnächst leben werden, dass Frauen keine Rechte haben, dass Mädchen nicht zur Schule gehen, dass die Scharia wieder eingeführt wird, wenn die Taliban tatsächlich auch Kabul einnehmen und damit die Regierung dann auch stürzen werden. 

Insofern kann man immer sagen: >War es das wert, Menschen dorthin zu schicken?< und wir haben ja auch gefallene Soldatinnen und Soldaten zu beklagen, aber Freiheit, Frieden, eine Demokratie gibt es nicht zum Nulltarif. Und insofern, um das dauerhaft auch erhalten zu können, muss man sich allen freiheitsfeindlichen, kriegstreiberischen und undemokratischen Strukturen entgegensetzen.

Weil das ist Teil der Wahrheit, dass wir über viele Jahrzehnte hinweg unter dem Schutz unserer alliierten Schutzmächte standen und die irgendwann auch folgerichtig sagen: >Irgendwann müsst ihr euch auch daran beteiligen<. Es kann nicht sein, dass Amerika über viele Jahrzehnte hinweg die Sicherheit von Europa garantiert und das allein dann zu tragen und zu schultern hat. 

Irgendwann müssen die Menschen in Europa auch ein Stück weit Verantwortung übernehmen und das hat dann eben auch etwas mit Geld zu tun, mit Material zu tun und auch mit Menschen zu tun. Und deswegen bin ich nicht grundsätzlich nicht pauschal für jeden Auslandseinsatz, aber unter der Abwägung der vorher genannten Argumente halte ich es für zwingend erforderlich, dass wir als Teil der freien Welt auch unseren Beitrag dazu leisten. Das kann man besser organisieren. 

Ich glaube, es ist auch nicht sinnvoll immer nur über nationale Streitkräfte zu sprechen, sondern ich würde mir wünschen, dass wir da auch bewusst europäischer denken. Es macht nicht Sinn, dass Frankreich, Italien, Großbritannien, Deutschland, Portugal, ich könnte sie jetzt weiter aufzählen, alle einen eigenen Panzer entwickeln, sondern wenn wir uns als Völkergemeinschaft und als europäischen Kontinent verstehen, dann würde ich mir eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik und Sicherheitheitspolitik wünschen. Das ist auch insofern schon zwingend erforderlich, weil wir eine gemeinsame Außengrenze haben. 

Und wenn Menschen ohne Recht auf Asyl oder auf subsidiären Schutz nach Europa kommen, wofür ich großes Verständnis habe, aus wirtschaftlichen Gründen heraus, dann ist es eben auch gemeinsame Aufgabe und gemeinsames Interesse diese Außengrenze zu schützen. Wenn das im Außengrenzenschutz gilt, dass man stärker kooperiert und zusammenarbeitet, dann gilt das eben auch für Sicherheitskräfte im Inland. Da meine ich jetzt eben noch nicht mal die Bundeswehr, sondern eben auch über gemeinsames, grenzüberschreitendes Arbeiten im Hinblick auf Sicherheit – innere wie äußere Sicherheit.”

In welchen Situationen ist ein Außeneinsatz der Bundeswehr für Sie nicht gerechtfertigt?

“Also es wäre nicht gerechtfertigt, wenn man beispielsweise ein Land mithilfe der Bundeswehr angreifen würde oder militärisch besetzen würde, was jegliche Anforderungen, was Demokratie, was Menschenrechte und Freiheit anbelangt, also das verbietet sich auch aufgrund unserer Historie, dass wir einen Angriffskrieg führen würden. 

Es gibt auch Grenzsituationen, wo wir vielleicht auch gar nicht für ausgerüstet sind, wo wir nur technische Unterstützung leisten können. Aber dann leisten wir zumindest technische Unterstützung oder finanzielle Unterstützung, aber wo uns schlicht und ergreifen die Ausrüstung und die entsprechenden Kräfte für fehlen. Also das würde sich nicht per se verbieten, aber da wäre ich sehr, sehr kritisch gegenüber. Und wenn die Situation sich normalisiert hat und die Strukturen wiederhergestellt sind, dann gilt es auch eben dieses Land wieder sehr schnell zu verlassen. 

Bei einem Inlandseinsatz sehe ich eigentlich per se überhaupt keine Probleme, weil das hat die Flut gezeigt, die Flutkatastrophe, wie wichtig eben auch eine Bundeswehr sein kann, weil da ist Mensch und Material, was auch strukturiert und organisiert bewegt werden kann und das ist dann wichtig eben auch die Bundeswehr eben da einzusetzen.”

In welchen Situationen halten Sie Inneneinsätze für gerechtfertigt? (Frage bereits zum Teil beantwortet, Möglichkeit zu ergänzen)

“Eben in Großschadensereignissen, im Katastrophenfall. Wir haben ja dank des großen Ehrenamtes in Deutschland, das hat ja eine lange Tradition, wirklich dezentral gute Strukturen, was jetzt Katastrophen und Gefahrenabwehr anbelangt: Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, private Rettungsdienste, kirchliche Rettungsdienste. Ehrenamtliches Engagement ist ohnehin wahnsinnig wichtig für die Gesellschaft, aber es gibt eben auch Situationen, wo diese Strukturen überfordert oder überlastet sind und dann brauchen Sie eine Reserve. 

Diese Reserve ist dann die Bundeswehr, die mit Material, die mit LKWs, die mit Maschinen, aber auch mit helfenden Händen eben auch schnell einsetzbar ist. Und ich glaube, wenn die Bundeswehr nicht gewesen wäre, dann wären eben noch mehr Häuser abgesoffen oder dann wären eben noch mehr Straßen und Verkehrstrassen unbrauchbar geworden.”

Wie würden Sie einem Machtmissbrauch (auch von künftigen politischen Regierungen) vorbeugen, daher welche Einschränkungen würden Sie einem Einsatz im Inneren auferlegen?

“Der Einsatz im Inneren bedarf ja erstmal nur der Entscheidung des Bundesverteidigungsministeriums in Abstimmung mit den Landesregierungen. Also es ist nicht so, dass die Bundesregierung einen Bundeswehreinsatz beispielsweise in Rheinland-Pfalz anordnen kann, sondern es bedarf dann immer der Länderhoheit, diese Hilfe anzufordern. 

Genau das gleiche ist beispielsweise auch bei der Pandemiebekämpfung, bei der Kontaktnachverfolgung, wo ja die Bundeswehr auch wichtige Dienste leistet und auch da kann nicht Frau Kramp-Karrenbauer entscheiden, dass im Gesundheitsamt Gummersbach fünf Soldaten sitzen, die jetzt Telefonnummern abtelefonieren, sondern es bedarf dann immer der Anforderung. Aber insofern gibt es da schon ein notwendiges Korrektiv, also da drängt sich nicht die Bundeswehr irgendwo auf, sondern es ist eine Reserve und wenn Sie in Not sind und wenn Sie Menschen und Material brauchen, dann sind Sie froh und dankbar, wenn sie zur Verfügung stehen. 

Etwas anderes ist es, wenn es jetzt ein Verteidigungsfall oder ein Kampfeinsatz wäre. Die Bundeswehr ist ja eine Parlamentsarmee. Und insofern ist jeder Einsatz der Bundeswehr mit einem Kampfcharakter, insbesondere im Ausland, im Inland haben wir den Gott Lob noch nicht gehabt bisher, ist der immer zwingend mit einem Parlamentsbeschluss versehen. Das heißt Sie haben die demokratische Legitimierung eines solchen Einsatzes immer. Und deswegen ist das de facto, wenn Sie eben demokratische Strukturen haben, die auch in demokratischen Mehrheiten im Parlament sind, dann ist das eigentlich ausgeschlossen. 

Es wäre natürlich prinzipiell vorstellbar, dass Sie undemokratische Parteien, die sich aber erst im Nachhinein als undemokratisch herausstellen, im Parlament haben und die würden eine Mehrheit haben und würden dann auf einmal solche Beschlüsse fassen. Da gäbe es dann noch immer das Bundesverfassungsgericht, was die undemokratische Situation einer Partei feststellen würde. Davon will ich aber Gott lob im Moment noch nicht träumen oder nicht darüber nachdenken. Das wäre ein Albtraum.”

(5) Nebeneinkünfte

Sehen Sie eine Notwendigkeit stärker gegen Nebeneinkünfte von Abgeordneten vorzugehen?

“Ja und nein. Man muss da stark differenzieren, erstmal in der Wahrnehmung. Das wird in der öffentlichen Wahrnehmung oftmals falsch wiedergegeben, weil Sie müssen unterscheiden zwischen Einnahmen und Einkommen oder Gewinn. Menschen, die in ein Parlament gehen und Volksvertreter sind, sind ja Menschen wie du und ich, die Berufe ausüben, die auch bestimmte Dinge schon vorher gemacht haben und ich mache mal ein Beispiel: Wenn ich vorher nicht leitender Angestellter gewesen wäre in verschiedensten Unternehmen, mein Anstellungsverhältnis ruht, und sollte ich nicht wiedergewählt werden, dann würde mein alter Arbeitgeber mich auch wieder in das Unternehmen aufnehmen müssen. 

Wenn ich jetzt aber selbstständig bin, wäre jetzt Anwalt, Zahnarzt oder Landwirt, dann würde ich ja nicht aufgrund meiner Parlamentsmitgliedschaft meine Praxis verkaufen, sondern ich würde diese Praxis vielleicht einem Dritten übergeben. Und dadurch, dass ich Eigentümer dieses Unternehmens oder dieser Praxis bin, beziehe ich auch Einnahmen. Das heißt aber nicht, dass ich diese Einkünfte auch als Gewinn habe, sondern ich habe auf der anderen Seite auch einen Aufwand. 

Ich will Ihnen mal ein Beispiel geben: Ein Parlamentskollege von mir ist Landwirt, der ist Ackerbauer in Brandenburg und der ist oftmals angegangen worden, weil er sagt: >Ich werde immer wieder gefragt: Wieso haben Sie 600.000 Euro Einnahmen neben Ihrem Mandat?< Der sagt: >Das sind natürlich nur die Einnahmen aus dem Verkauf meiner Feldfrüchte. Aber da fragt keiner: Welchen Aufwand hast du denn da eingesetzt? Da ist kein Maschinenpark, da ist keine Abschreibung, da ist kein Saatgut dabei, da sind keine Aufwendungen bei und wenn ich meine Kosten dagegen schreiben würde, dann würde rauskommen: Ich habe 20.000 Euro Verlust gemacht, weil ich meinen Betrieb auch einem Landwirtschaftsmeister übergeben habe, der in der Zeit meiner Parlamentszugehörigkeit diesen Betrieb weiterführt, weil ich mach das ja auch nicht bis zu meinem Lebensende, Parlamentier, aber wenn ich wiederkomme, möchte ich ja meinen Betrieb noch haben<. 

Das heißt, wir haben einen Fehler im System. Erstmal: Was wird denn deklariert? Es wird eben nicht >Einnahme< im Sinne von >Der kriegt noch irgendein Gehalt< oder >Der kriegt noch irgendeine Tantieme< oder >Der kriegt noch irgendwo eine Gage für einen Auftritt oder für eine Rede, die er gehalten hat<, sondern da steht der Begriff >Einnahme<. Das ist das Erste. Da würde ich mir wünschen, dass man da tatsächlich sagt: Ist das versteuerpflichtiges Einkommen, was da erzielt wird und warum? Dass man auch dahinter blicken kann – warum ist das so? Es ist ja auch zulässig, dass Sie sagen: >Ich ziehe da weiterhin Erträge raus<, das ist ja zulässig in Deutschland Geld zu verdienen, auch wenn ich da selber keine Zeit investiere, sondern ich habe dann Einnahmen aus meinem Unternehmen, was ich aber einem Anderen anvertraut habe.

Der zweite Punkt ist, ob Sie im Rahmen Ihrer Parlamentstätigkeit Einkünfte erzielen, die unmittelbar mit Ihrem Mandat zusammenhängen und da bin ich froh und glücklich, dass wir das geändert haben über eine Änderung des Abgeordnetengesetzes noch vor Beginn der Sommerpause, dass es zukünftig erforderlich ist, dass Sie nicht nur Ihre Einkünfte auf Heller und Pfennig deklarieren müssen und nicht in Stufen – Stufe 1, Stufe 2, Stufe 3 – sondern jeder kann nachlesen, wie viel Geld bekommt der Parlamentarier X oder die Parlamentarierin Y für seine Tätigkeit. 

Und was ganz wichtig ist: Ist es eine Tätigkeit, die mit ihrer vorhergehenden Berufstätigkeit zusammenhängt, weil sie Eigentümerin einer Zahnarztpraxis war oder Eigentümer eines bäuerlichen Betriebes? Wenn ich das verbieten würde, dann würde ich ja verbieten, dass Menschen, die Landwirt sind oder Zahnarzt sind Parlamentarier werden dürfen. Weil die würden ja nicht sagen: >Nur, weil ich jetzt die vage Chance habe ins Parlament zu kommen, verkaufe ich jetzt mein Unternehmen<. Also wenn ich wirklich ein Spiegelbild der Gesellschaft haben möchte, dann muss ich es auch zulassen, dass Menschen auch ein Einkommen erzielen, wo sie aber operativ gar nicht daran beteiligt sind. 

Anders ist es aber, wenn ich sage: >Ich bin Parlamentarier< und ein Unternehmen fragt mich an: >Möchten Sie bei uns nicht die Weihnachtsansprache halten und gleichzeitig aus Ihrer Parlamentsarbeit berichten?< und ich bekomme 10.000 Euro dafür. Das ist ja ein Umstand, das finde ich immer hochinteressant, da kann ich nur jedem Bürger empfehlen, mal wirklich auf der Bundestagsseite durch die veröffentlichungspflichtigen Angaben zu gehen und dann werden Sie Vertreter aller Parteien finden, die auch gerne mal sagen: >Ich trete auf bei n-tv, bei Klamroths Konter oder bei Streitgespräch mit XY< und die bekommen 10.000 Euro Antrittsprämie und das sehe ich als kritisch an. Weil, das ist Teil ihres Jobs und Sie können nicht die Zeit, die Sie als Parlamentarier einsetzen sollten, um das bestmögliche für Ihren Wahlkreis rauszuholen und die bestmöglichen Regeln zu erzielen, artverwandt, aber eigentlich nicht in einem rechten Verhältnis woanders für verwenden. 

Was überhaupt nicht geht, ist, dass Sie vergütet werden für Tätigkeiten, wo keine Tätigkeit mit verbunden ist und keine Gegenleistung verbunden ist, sondern wo man die Erwartungshaltung hat, dass man in der Gesetzgebung bestimmte Dinge tut, nur weil der Geldgeber das so gerne möchte. Das betrachte ich als korrupt. Das ist das Kaufen von Politik und käufliche Politik ist der Anfang vom Ende. Und deswegen finde ich wichtig, dass man da eine stärkere Transparenz jetzt rein gebracht hat und dass man auch verbietet, qua Gesetz jetzt, dass Abgeordnete für Vorträge Geld bekommen.”

Wie würden Sie stärker gegen Nebeneinkünfte vorgehen?
Wie beurteilen Sie die Gefahr von Korruption und wie würden Sie dagegen vorgehen (ohne den Begriff „Transparenz“ zu nutzen)? (Fragen bereits zum Teil beantwortet, Möglichkeit zu ergänzen)

“Zu den Nebeneinkünfte habe ich eben bereits etwas gesagt. Also es gibt Nebeneinkünfte, die sind gegeben, wenn Sie Menschen in Parlamenten haben möchte, die auch selbstständig arbeiten, die auch freiberuflich arbeiten, dann ist das zwingend, dass sie irgendwo auch ein Einkommen erzielen, auch aufgrund ihrer vorhergehenden Tätigkeit, ohne selber da Parlamentsarbeit für zu opfern. Und das, was man ändern müsste, wurde bereits geändert. Wir haben ein Transparenzregistergesetz und wir haben auch die Änderung des Abgeordnetengesetzes initiiert. 

Darüber hinaus kann ich Ihnen sagen, dass meine Fraktion einen sogenannten Integritätsausschuss gebildet hat. Das heißt: Egal, welche Tätigkeit Sie haben neben Ihrem Mandat, weil das ist ja grundsätzlich zulässig, Sie müssen das diesem Integritätsausschuss vorlegen ab der nächsten Legislaturperiode und dann entscheidet dieser Ausschuss darüber, ob Sie diese Tätigkeit weiterführen dürfen. Und da rede ich über diese Tätigkeiten, die nicht mit Ihrem originären Beruf zu tun haben. 

Also Sie dürfen auch nach wie vor einen Mandanten beraten, wenn Sie überhaupt die Zeit dafür haben. Ich stelle mir immer die Frage: Wie machen das die Leute? Ich hätte nicht die Zeit dafür. Also in ganz, ganz beschränktem Umfang hätte ich die vielleicht, aber ich kann mir das gar nicht vorstellen. 

Dadurch wird schon vieles verhindert. Also dass man jede Tätigkeit anmelden muss, dann prüft der Integritätsausschuss: Gibt es eine Interessenkollision? Und wenn es eine Interessenkollision gibt, dann müssen Sie dieses zusätzliche Beschäftigungsmandat niederlegen und das geht nicht anders. Das hat aber auch Grenzen. Weil ich bin Mitglied im Finanzausschuss, ich bin aber auch Steuerzahler wie jeder in Deutschland. 

Deswegen kann ich aber nicht sagen: Du darfst nicht im Finanzausschuss mitwirken und über Steuergesetze entscheiden, weil dann dürften Sie ja keinen Steuerpflichtigen da rein setzen und das geht quasi nicht. Aber wenn ich jetzt ein Aufsichtsratmandat bei einer Bank habe und ich beschäftige mich mit der Bankgesetzgebung, dann halte ich das für schwierig, um nicht zu sagen für ausgeschlossen. Das können Sie eigentlich nicht machen.

Und Korruption: Sie können natürlich Gesetzesverstöße nie verhindern. Das ist leider Gottes so. Und sie können auch nicht es verhindern, dass jemand Geld annimmt, um in der Gegenleistung dann an der Gesetzgebung etwas zu verändern. Wie wollen Sie das gesetzgeberisch noch stärker unterbinden als es jetzt schon der Fall ist? Zumal, wenn es dann um Bargeld geht. Es gibt keine Zeugen dafür. 

Dass ich das moralisch verwerflich finde und eigentlich auch als Unmöglichkeit ansehe, ich möchte jetzt nicht die gesamte Masken-Affäre nochmal wiederholen. Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nicht so sehr fremdgeschämt in diesem Moment und es war für mich unvorstellbar, dass sowas passiert. Aber auch das zählt zu den Erfahrungen, die Sie in der Politik machen, dass Menschen eben offenbar nicht immer so sind, wie sie die vorher eingeschätzt haben. 

Und ich betrachte das aber auch nicht als parteispezifisches Problem, sondern das ist ein Problem der Gesamtgesellschaft, dass Menschen oftmals eben auch käuflich sind. Das betrachte ich als ein Grundübel, das man ausmerzen muss. Also, wenn man Parlamentarier ist, dann muss man sich auf die parlamentarische Arbeit konzentrieren. Es ist nicht verboten ein Buch zu schreiben und damit dann auch vielleicht ein paar Euro zu verdienen, aber wenn Sie Ihren Job wirklich ernst nehmen wollen, dann müssen Sie sich auf ihre parlamentarische Arbeit konzentrieren. Das war jetzt kein Ja und kein Nein.”

(6) Spaltung der Gesellschaft

In den letzten Jahren wurde häufig von einer “Spaltung der Gesellschaft” gesprochen.
Sehen Sie eine zunehmende Spaltung in der Gesellschaft?

“Also, Spaltung erweckt ja so dieses Bild: Ich habe eine Zweiteilung oder eine Dreiteilung, als wenn ich jetzt ein Stück Kaminholz spalte und das bricht jetzt in zwei oder drei oder vier Teile auseinander. So empfinde ich das nicht. Ich betrachte das noch viel, viel, viel vielschichtiger. Was ich feststelle, ist eine zunehmende Polarisierung, aber immer eine themenspezifische Polarisierung und auch eine zunehmende Erwartungshaltung in der Gesellschaft, die nicht gut ist. Vielleicht ist da die Politik nicht ganz unschuldig daran, dass man über Jahre oder Jahrzehnte den Menschen den Eindruck vermittelt hat: >Die Politik kann alles lösen<. Und die Probleme werden immer an die Politik adressiert und die Politik sagt: >Ich werde das lösen, versprochen<. 

Die Wahrheit ist, dass Politik nicht alles lösen kann, das habe ich ja eben zu eingangs schon gesagt, Politik kann Regeln setzen, ist aber darauf angewiesen, dass Menschen und Unternehmen und Teilnehmer unserer Gesellschaft sich an diesen Regeln orientieren und dann eine Verhaltensänderung herbeigeführt wird, die dann zu einem anderen Ergebnis führt. 

Und was ich zunehmend feststelle und das in den letzten dreieinhalb Jahren als Abgeordneter in einem enormen Umfang zugenommen hat, ist so diese ultimativen Forderungen. Die Menschen sprechen mit Ihnen, schreiben Ihnen Nachrichten; Ich habe im ersten Jahr 1.200 Nachrichten bekommen von Menschen aus dem Wahlkreis, also pro Monat 100, im zweiten Jahr waren es 1.800, im dritten Jahr schon über 2.000 und in den letzten zwölf Monaten, wenn ich das mal abgrenze, waren es über 4.600, also 400 pro Monat, rund. 

Und es ist ein enorm großer Anteil an Menschen, die mir schildern: >Grundsätzlich geht es mir ganz gut, aber ich habe da einen Punkt, und wenn Sie den nicht lösen, dann entziehe ich Ihnen mein Vertrauen< und wenn Sie dann dem nicht sagen: >Ich kläre das und Sie kriegen jetzt Ihren Keks<, dann sind die Leute sauer. Das will ich jetzt nicht verallgemeinern, die überwiegende Mehrheit, auch im Oberbergischen Kreis, sagen: >Politik kann nicht alles lösen<, aber es ist ein Trend, der feststellbar ist, dass Menschen zunehmend, gerade bei komplexen Situationen, sagen: >Ich komme da nicht weiter und deswegen schiebe ich das Problem jetzt an die Politik<. Die Politik kann es nicht lösen, hat aber vielfach häufig gesagt: >Wir lösen das jetzt< und dann entsteht Unzufriedenheit. 

Das ist eine thematische Spaltung in der Gesellschaft. Es gibt nicht mehr diese Debatten um Diskussionskultur, sondern es gibt immer nur Dagegen oder Dafür. Und oftmals steigen die Leute auch aus der Diskussion aus und sagen: >Ich will mich da gar nicht dran beteiligen, da ist die Politik für verantwortlich< und das ist meines Erachtens zu einfach, weil neben der Politik gibt es eben auch noch eine eigene Verantwortung und neben der Verantwortung der Politik und der Solidarität gibt es eben auch noch eine eigene, personelle Verantwortung, also: Was kann ich denn als Einzelindividuum dazu beitragen das zu lösen?

Was anderes ist die Spaltung der Gesellschaft, wenn Sie das jetzt nach arm und reich betrachten wollen: Vermögensungleichheit, Einkommensungleichheit. Das ist ein Phänomen, was tatsächlich auch da ist. Es gibt eine Ungleichheit in Einkommen und Vermögen, das ist aber Teil einer freien Gesellschaft, weil wir ja auch einem Leistungsprinzip – verpflichtet sind nicht, aber wir glauben an ein Leistungsprinzip. Also wenn jemand fleißig ist und die Regeln befolgt und innovativ ist, dann kann er viel Geld verdienen und ich kann es ihm nicht wegnehmen, weil alles andere wäre leistungsmindernd und würde auch nicht mehr zu Innovation beitragen und auch nicht zu Unternehmertum und unternehmerischem Erfolg. 

Man muss allerdings aufpassen, dass diese Einkommens- und die Vermögensungleichheit, die in einem marktwirtschaftlichen System der Antrieb eigentlich sind, mehr haben zu wollen, dass das nicht ausufert und dass es nicht irgendwann zu kapitalistischen Exzessen kommt. Dass Menschen in der großen Breite nichts haben und dass es nur wenige Menschen gibt, die alles haben. 

Deswegen ist das jetzt keine Parole der Linken oder kein Thema, was nur linke Parteien besetzen, sondern was auch einer bürgerlichen Partei wie der CDU enorm wichtig ist. Dass Menschen nicht nur Arbeit haben, sondern auch ein ausreichendes, vernünftiges Einkommen haben und dass Menschen auch Eigentum und Vermögen bilden können, dass jeder die Chance auch hat aufzusteigen. 

Und da habe ich so ein bisschen die Wahrnehmung, dass das ein bisschen stärker wahrgenommen wird, dass wir eine Spreizung haben in der Gesellschaft. Das hat mit vielen Dingen zu tun. Also nicht nur mit Einkommen, sondern auch Menschen mit Eigentum und ohne Eigentum, Mieter und Einfamilienhausbesitzer, also da muss man auch aufpassen, dass wir da nicht in eine Scherenentwicklung reinkommen, was uns gesamtgesellschaftlich dann vor Probleme setzen würde.”

Wo sehen Sie die Gründe für eine solche Spaltung? 

“Diese thematische Spaltung, die können Sie eigentlich nur dadurch auslösen, dass die Politik auch ehrlicher wird und den Menschen einfach auch sagt: >Ich kann nicht alles lösen, das übersteigt meine Fähigkeiten<. Und eine isolierte Lösung durch die Politik ist gar nicht möglich, weil ich brauche immer die Menschen, die sich da mit dran beteiligen und jeder trägt Verantwortung in dieser Gesellschaft und so eine Vollkasko-Mentalität >Ich muss mich um nichts kümmern und dann rufe ich bei der Versicherung Deutscher Bundestag an, bei meinem Parlamentarier und der erstattet mir jetzt alle Probleme und alle Schäden<, das funktioniert nicht. Und da trägt Politik eben auch eine Mitverantwortung. 

Wenn man den Menschen über Jahrzehnte einbläut: >Du musst dich nicht sorgen, wir regeln alles<, dann darf ich mich nicht wundern, wenn die Menschen irgendwann auch diese Erwartungshaltung haben. Ich mache den Menschen da überhaupt keinen Vorwurf. Da muss Politik auch einfach ehrlich werden und sagen: >Es gibt Dinge, die können wir leider nicht lösen. Wir brauchen immer die Unterstützung der Gesamtbevölkerung<.

Wenn Sie über eine Spaltung der Gesellschaft in Menschen, die etwas haben und Menschen, die nichts haben, über Mieter und über Eigentümer, über Reiche und über Arme, über Einkommensmillionäre und über Menschen am Existenzminimum sprechen, dann ist das ein Thema, wo Politik sehr viel tun kann. Wo man auch gesellschaftlichen Frieden in der Gesellschaft berücksichtigen muss. Weil, wenn diese Schere irgendwann mal zu weit auseinanderklaffen sollte, dann sprengt das eine Gesellschaft. Ich glaube aber zutiefst, dass da auch ein Autokorrektiv ist, dass Menschen auch sich dann über Parteien dann auch melden und auch über Wahlergebnisse dann auch automatisch Korrekturen stattfinden. 

Die dürfen allerdings nie so weit reichen, dass man auch fundamentale Prinzipien aushebelt und sagt: >Wir rufen jetzt den Kommunismus aus<, die klassenlose Gesellschaft, die es ja gar nicht gibt. So etwas lehrt uns ja die Geschichte. Wenn ich allen alles wegnehme und dann allen alles umverteile, dann kommt es erstens nicht dazu, dass alle das gleiche bekommen, sondern die herrschende Kaste hat mehr. 

Das sehen Sie auch in China oder in der Sowjetunion vor dem Umschwung der ehemaligen DDR, und das ist für mich ein prägnantes Beispiel, dass das nicht funktioniert – und würde auch nicht dazu beitragen, dass es allen Menschen besser geht, sondern die meisten Menschen würden keinen Antrieb haben und auch keine Möglichkeit erkennen sich selbst zu verwirklichen und auch in einer Gewinnerzielungsabsicht oder in einem Leistungsstreben einfach mehr zu machen als andere. Dafür ist eben auch Eigentum und auch ein Stück weit Ungleichheit, auch wenn es jetzt vielleicht negativ konnotiert ist, ist dafür auch notwendig. Dass ich eben einen Antrieb habe, einen Anreiz habe mehr zu tun. 

Aber man muss aufpassen, das ist Politik, dass das nicht aus dem Ruder läuft. Menschen brauchen auch Löhne und Einkommen, die menschenwürdig sind, die einem ein vernünftiges Leben ermöglichen.”

(7) Wirtschafts-/Finanzpolitik

Eine Schlagzeile in bundesweiten Medien machte die Steigung der Inflationsrate auf 3,8% – den höchsten Stand seit 13 Jahren. Halten Sie die steigende Inflationsrate für bedenklich / gefährlich? 

“Also erstmal muss man ja die Frage stellen: Warum ist die so hoch, die Inflationsrate? Und es gibt ja erstmal ein ganz schlagkräftiges Argument: Wir haben ja im letzten Jahr zum ersten Juli die Mehrwertsteuer gesenkt, von 19 auf 16 Prozent. Das heißt: Wir hatten schlagartig eine Deflation, zumindestens was jetzt die Güterpreise anbelangt, die Konsumgüterpreise anbelangt oder auch was die Faktorpreise anbelangt, von Minus drei Prozent. Wenn Sie jetzt dieses Jahr natürlich immer den Bezugsmonat Juli 2020 nehmen zu Juli 2021, dann haben Sie ja durch die Mehrwertsteueranhebung, die ja zum ersten Januar wieder erfolgte, automatisch drei Prozent teurere Preise. 

Also ist das ja erstmal eine systembedingte Inflationsrate und die würde sich zwangsläufig am ersten Januar nächsten Jahres wieder normalisieren, weil sie ja dann den Bezugsmonat hätten Januar 2021, da hatten wir 19 Prozent Mehrwertsteuer, zu Januar 2022. Das ist erstmal der Hintergrund, warum sie so hoch ist.

Der zweite Punkt, warum die so hoch ist, ist, dass wir aufgestaute Konsumtätigkeiten hatten. Viele Menschen haben in der Zeit der Pandemie weniger ausgegeben und haben ihre Sparquote erhöht. Die sind eben nicht in den Urlaub gefahren, die sind eben nicht ins Restaurant gegangen, die sind eben nicht in die Disko gegangen oder in den Club und haben nicht exzessiv geshoppt und Klamotten gekauft, sondern die haben gesagt: >Ich kann gar nicht. Ich kann nicht in ein Restaurant, ich kann nicht in ein Fachgeschäft und wenn, dann will ich da garnicht hin, weil ich kann da keinen Gefallen daran finden mit Maske mir jetzt irgendwo ein Kleid anzusehen oder eine Hose anzuziehen<. 

Das heißt, die Menschen haben weniger Geld ausgegeben und hatten auch teilweise weniger Geld aufgrund von Kurzarbeit. Das heißt, es wurde automatisch weniger konsumiert und wenn weniger konsumiert wird, dann fallen die Preise auch. Und jetzt haben wir einen Nachholeffekt: Leute, die sagen: >Ich kann jetzt wieder in die Gaststätte gehen< und die Gaststättenbetreiber sagen: >Wir haben noch einiges aufzuholen und deshalb wollen wir vielleicht den Kaffee, der vorher 2 Euro gekostet hat, jetzt für 2,20 Euro verkaufen<. 

Dadurch haben Sie in dem natürlichen, ökonomischen Verhalten der Menschen Preissteigerungen drin. Die werden aber einerseits wieder zurückgehen, und andererseits wird dieser Effekt auch irgendwann wieder normalisiert sein. 

Deswegen gehe ich nicht von einer dauerhaften Inflationssteigerung aus. Das würde dann passieren, wenn die Lohnabschlüsse in Deutschland diesen steigenden – ob sie denn gestiegen sind, die Preise, also wegen Mehrwertsteuer, wenn ich das mal rausrechne, sind die ein bisschen gestiegen – wenn die Lohnabschlüsse stärker steigen würden als die normale Teuerungsrate, dann haben Sie so eine Spirale, wo sich das dann aufspielt. 

Was dagegen spräche, ist, dass im Moment die Zinsen auch nach wie vor niedrig sind und wir auch im Moment keine Änderung an den Zinsmärkten und Kapitalmärkten haben. Es gibt da ein interessantes Wechselspiel zwischen Preisen für die Gütermärkte und Zins und Liquidität, aber um es kurz zu machen: Das ist ein temporärer Effekt, das wird sich wahrscheinlich Anfang nächsten Jahres ausglätten wieder.

Und eine Gefahr würde ich natürlich, wenn es dauerhaft wäre, dafür sehen, weil Sie dann zunehmend Sparguthaben noch zusätzlich entwerten, die gleichzeitig bei geringen Zinsen veranlagt sind. Das heißt, real würden Sie als Sparer Vermögensverluste haben und real würde sich der Staat dadurch entschulden können. Aber das hat der Staat alleine nicht in der Hand und ich glaube auch nicht, dass das von großer Dauer sein wird, diese Inflationstendenz. Also, meine Prognose ist, dass das spätestens Mitte nächsten Jahres sich normalisiert hat.”

Wie wollen Sie die EZB dabei unterstützen die Preisstabilität aufrechtzuerhalten?

“Die Preisstabilität ist ja im Grunde genommen das Ziel der Zentralbank. Die Zentralbank in Europa ist unabhängig, genauso wie die Deutsche Bundesbank auch unabhängig war und die Entscheidungen, was die geldpolitischen Entscheidungen der EZB anbelangt, gibt es ja keine direkte Einflussnahme durch die Regierung. Das verbietet das Statut der EZB. Also insofern kann die Politik zwar viele Forderungen stellen, aber das EZB-Direktorium ist am langen Ende verantwortlich für die geldpolitischen Entscheidungen. 

Und die EZB hat eben ein Inflationsziel – also Inflation ist ja nicht immer unbedingt etwas schädliches, sondern soll ja auch irgendwo ein Spiegelbild von wirtschaftlicher Aktivität sein – von zwei Prozent ausgegeben und interessanterweise hat man jetzt bei der Definition dieses Inflationsziels gesagt: >Man muss vielleicht auch bei einer Preissteigerung bestimmte Güter mal raus rechnen<, weil auch da haben Sie ja enorme Schwankungen, die ja kein Spiegelbild der wirtschaftlichen Aktivität sind, sondern wenn der Ölpreis steigt, dann hat der einen großen Einfluss auf die Energiepreise an der Tankstelle. 

Und wenn die Tankstellenpreise und Ihre Energiepreise Teil Ihrer Kalkulation sind, dann erhöhen sich auch Ihre Produktionspreise, Ihre Abgabepreise und das hat nicht unbedingt etwas mit wirtschaftlichem Wachstum zu tun, sondern mit externen Effekten. Und deswegen wird das auch wieder neu berechnet. Aber Fakt ist: Da kann die Politik direkt erstmal gar nichts machen, sondern die EZB ist unabhängig, Gott lob.

Und ich glaube auch nicht, dass die Europäische Zentralbank ihre grundsätzliche Politik in den nächsten Jahren ändern wird, also eine expansive Geldpolitik weiterhin betreibt. Wobei das Geld gar nicht im Moment auf den Faktor- und Gütermärkten wirksam wird, sondern leider Gottes in steigenden Vermögenspreisen endet; Also Immobilienpreise steigen und Wertgegenstände werden teurer, Metalle, Rohstoffe werden teurer, aber wir finden im Moment keinen Zusammenhang zwischen der Erweiterung der Geldmenge und auf breiter Front steigenden Konsumgüterpreisen. 

Und warum macht die EZB das? Weil sie derzeit noch und auch die nächsten Jahre die Finanzierbarkeit von Staaten gewährleisten möchte. Das sagt sie zwar nicht, aber das ist der ökonomische Zusammenhang. Wenn die Zinsen steigen würden, dann hätten einzelne Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die auch im Währungsverbund sind, Schwierigkeiten ihre Staatsanleihen zu begeben und das würde die Staatshaushalte sprengen. 

Also hätten wir nicht, ich sage mal, annähernd in Deutschland Null Zinsen und in Griechenland derzeit vielleicht 250 Basispunkte, also 2,5 Prozent, sondern wir hätten in Deutschland fünf Prozent Zinsen bei den Staatsanleihen und die Griechen hätten zehn Prozent, dann würde der Zinsaufwand für die Staatsverschuldung so immens groß werden, dass viele europäischen Staaten das nicht mehr leisten könnten. Und das ist auch ein Aspekt, der die Währungspolitik im Moment dominiert. 

Also kurzum, ich gehe nicht davon aus, dass die EZB ihre Politik schnell ändert; Das hängt auch ein bisschen davon ab, was die Federal Reserve macht in den USA und was andere Zentralbanken machen und bei den Nebenbedingungen, die ich genannt habe: Wir haben enorm viel zu finanzieren, nicht nur als Staat, sondern auch als Europäische Union, 750 Milliarden Euro werden da über Kredite und Zuschüsse in den Markt wieder gegeben, gehe ich davon aus, dass die Zinsen niedrig bleiben.”

Im Streit um Nordstream 2 oder Frackinggas aus den USA wird inzwischen sogar vom “kalten Gaskrieg” gesprochen (SPIEGEL). Auch umweltpolitische Aspekte spielen in der Diskussion eine Rolle. Noch ist Deutschland auf Gas-Importe angewiesen. Wie beurteilen Sie die Fertigstellung der neuen Pipeline?

“Sehr ambivalent. Also, ich sag mal, zunächst mal so als normaler Bürger stelle ich mir die Frage: Was hat das gekostet bisher? Und wenn ich das jetzt kurz vor der Fertigstellung, so einen Kilometer vor der Küste, stoppen würde, dann würde ich mir erstmal die Frage stellen: Wer bezahlt das eigentlich? Dann ist das ja eine Bauruine, die keinerlei Funktion zugeführt wird. Also würde ich jetzt erstmal als normaler Bürger sagen: Baut das Ding fertig, damit es überhaupt einen Gegenwert hat. 

Wenn es denn fertig gebaut wird, welche Folge hat das denn strategisch? Wir beziehen unser Gas nicht ausschließlich aus Russland, aber doch in erheblichem Umfang aus Russland. Und bisher wird das Gas geliefert über eine bestehende Pipeline, die über den Landweg nach Deutschland kommt, also über die Ukraine, Polen. 

Und in dem Moment ist das insofern strategisch, weil die Ukraine und Russland nicht gerade die besten Freunde sind und die Ukraine Russland gegenüber sagen könnte: >Wir lassen das Gas nicht durch, dann kann Russland das Gas nicht verkaufen und wir haben das Gas auch nicht< – Das könnte die Ukraine sagen. Gleichzeitig könnte aber auch Russland sagen: >Ich liefere der Ukraine kein Gas. Das ist aber die gleiche Pipeline. Und wenn ich der Ukraine kein Gas liefere, dann kann ich auch Deutschland kein Gas liefern<. Das hat also eine außensicherheitspolitische Komponente. 

Wenn ich das mal rein egoistisch sehe als Deutschland, dann muss ich ja die Energieversorgung Deutschlands sicherstellen. Und dann liegt es eigentlich im strategischen Interesse, dass ich meine Liefermöglichkeiten oder meine Lieferwege diversifiziere, also nicht alle Eier in einen Korb legen, sondern möglichst breit aufzustellen. Am liebsten wäre es mir, dass ich gar nicht von russischem Gas abhängig bin. Dann müsste ich diese Entscheidung jetzt nicht treffen. Aber das wäre naiv, weil wir können noch so schnell regenerative Energien aufbauen, wir werden auch in den nächsten Jahrzehnten noch von Gas abhängig sein, weil wir auch Energiespitzen mit Gaskraftwerken abfedern müssen.

Und jetzt kommt noch eine andere Dimension, auch wieder außenpolitisch, hinzu: Warum hat Amerika etwas gegen Nordstream 2? Weil einerseits da eine direkte Abhängigkeit zu Russland zementiert wird. Das sehe ich nicht, weil ich habe ja bereits heute eine Abhängigkeit von russischem Gas. Wenn ich das Gas, ich sage mal, über die Landpipeline beziehe und ich schaffe eine zusätzliche Sicherheit, wenn ich eine Alternative habe, es kann ja auch mal eine Störung in dieser Leitung sein, das heißt, ich habe meine Liefersicherheit eigentlich erhöht. 

Ich glaube, die Amerikaner, wenn sie sich ehrlich machen würden, haben natürlich eigene Interessen, weil in dem Moment, wo das russische Gas nicht geliefert wird, dann muss ich mir ja anderswo das Gas einkaufen. Und wenn das dann eben über Fracking passiert in den USA, halte ich das ökologisch für eine Katastrophe, weil Sie pumpen da Chemikalien in den Boden, wo es Begleit- und Folgeerscheinungen gibt. 

Das Gas ist zwar von der gleichen Qualität, aber ich möchte mir keine Gedanken darüber machen, was ich ökologisch dann da anrichte. Und das wäre dann ein Fußabdruck, den Deutschland indirekt in den USA, ich sage mal, hinterlassen würde und glaube da haben wir dann eben auch eine ökologische Gesamtverantwortung für die Welt, weil wir tun immer so, als wenn Umweltpolitik hier immer nur national gedacht wird und tatsächlich ist ja das CO2, was hier gerade über uns in der Atmosphäre schwebt ja nicht nur aus Deutschland, sondern das ist ja CO2, was weltweit produziert wurde. 

Und deswegen müssen wir, ich sage mal, strategisch vielleicht jetzt, sagen wir, wir nehmen Nordstream 2, es ist gebaut, es ist eine Diversifizierung auch der Lieferstruktur, aber perspektivisch würde ich gerne, ich sag mal, die Energieeinkaufspolitik so weit diversifizieren, wie man es bisher nicht gedacht hat. Weil wenn ich sage: >Wir wollen regenerative Energie haben<, dann kann die ja auch gespeichert werden, diese regenerative Energie. 

Ich kann die ja bereits heute schon in grünem Wasserstoff speichern. Und dann würde mein Energielieferant nicht mehr Russland sein, sondern vielleicht Tunesien, Marokko oder Zentralafrika oder Südspanien oder Portugal. Weil das macht ökologisch Sinn und das macht auch strategisch Sinn, dass ich meine Energieeinkaufspolitik diversifiziere.”

(8) Umweltpolitik 

Welche Umweltpolitischen Maßnahmen halten Sie für sinnvoll und effektiv? 

“Das ist natürlich eine Frage, die ist weit gefasst. Ich habe ja eben gesagt: Wo verbrauchen wir Energie aktuelle? Das ist Bewegen, das ist Heizen und das ist Produzieren. Und das sind die drei großen Sektoren, wo Energie verbraucht wird und wo Sie sich über den Austausch von Energiequellen unterhalten müssen. 

Fangen wir mal mit dem einfachsten Weg an, der aber viel zu selten diskutiert wird, das ist die Energievermeidung. Weil, wenn Sie im Bereich Heizen durch geeignete energetische Maßnahmen und durch Dämmung und durch intelligente Ingenieurstechnik weniger heizen oder gar nicht mehr heizen, sondern nur über Temperaturunterschiede, über Tauschelemente, über Geothermie Ihr Haus heizen können, dann entsteht ja keine Verbrennung von fossilen Energieträgern. Und dann brauchen Sie auch keinen Strom, der ja heute noch in zu großen Teilen auch schwarz-braun produziert wird durch das Verfeuern von Gas oder von Braunkohle oder von Steinkohle. 

Das ist also für mich erstmal das wichtigste, dass ich mir überlege: Wo kann ich denn Energie einsparen? Also so eine neue Kultur wie in den 70er Jahren, da gab es Aufkleber >Ich bin Energiesparer<. Das würde ich mir wünschen und da kann der Staat eine Menge zu beitragen, Hauseigentümer, jeden, der mit Immobilien zu tun hat, zu sensibilisieren: Mach was! Und da kann man Anreize setzen dann, nicht nur, weil Energie eingespart wird, sondern weil man auch Rahmenbedingungen setzen kann, verpflichtende Elemente auf regenerative Energie draufzusetzen, einen Teil der Energie selbst zu produzieren. Da habe ich auch keine Trassenproblematik, sondern das kann ich dann eben auch am Gebäude selbst machen.

Zweiter Punkt: Aufbau von regenerativen Energien. Deutschland hat sich vor einigen Jahren verpflichtet aus der Kernenergie auszusteigen. Das finde ich auch völlig richtig, auch wenn die Kernenergie CO2-neutral ist. Es entsteht kein CO2 bei der Kernkraft. Es ist also bisher eine Allzweckwaffe, um dem Klimawandel zu begegnen, überall Kernkraftwerke zu bauen. Das erleichtert zum Beispiel auch Frankreich seine Klimaziele zu erreichen, wenn man sagt: >Ja gut, ich verfeuere halt keine Kohle, aber dafür mache ich Kernspaltung und dann habe ich keine CO2-Emissionen<. 

Zur Wahrheit zählt aber auch, dass wir ein Endspeicherproblem haben und diese radioaktiven Abfälle, wenn sie dann mehrfach aufbereitet sind, dann auch irgendwann mal endlagern müssen. Und solange Sie keine geeignete Endlagerstätte haben und solange sie immer noch ein Betreiberrisiko haben, was riesengroß ist, siehe Fukushima, siehe Chernobyl. Ich habe ein mulmiges Gefühl dabei, wenn im europäischen Ausland immer noch Kernkraftwerke mit einem niedrigen Sicherheitsstandard laufen. Das ist ein Restrisiko, das möchte ich vermeiden und deswegen finde ich den Ausstieg aus der Kernenergie richtig, Punkt. Und eine Renaissance sehe ich auch nicht und befürworte ich auch nicht. 

Also da bleiben mir noch die fossilen Energieträger: Öl, Gas, Kohle. Und es bleiben die regenerativen Energien und es muss uns gelingen den Ausbau der regenerativen Energien zu beschleunigen, aber das müssen wir mit der Gesellschaft tun. Weil, wenn Sie alleine den Energiebedarf von Nordrhein-Westfalen nur durch regenerative Energien decken wollen, haben Sie Abstände von Windrädern, und zwar flächendeckend, von 150 Metern und auf jedem Dach ist auch, ich sag mal, auch flächendeckend Photovoltaik. Das soll nicht heißen, dass wir das nicht machen, sondern wir müssen noch intelligenter und noch in höherem Umfang auch Wind- und Solar- und Wasserkraft erzeugen und nutzen. Aber zur Wahrheit zählt auch, Sie werden den gesamten Energiebedarf nicht dauerhaft alleine in Deutschland decken können. Wir werden Energieimportland bleiben. 

Und da stellt sich die Frage. Wie ist der Strom erzeugt worden, den wir zukaufen? Und haben wir denn ausreichende Netze auch, um diesen Strom, den wir ja zunehmend brauchen für, wenn Sie ein Stahlwerk haben und Sie haben bisher mit Kohle Stahl produziert und wollen das demnächst mit Wasserstoff oder mit Strom machen, dann müssen Sie auch entsprechende Leitungen haben, die verlegt werden. 

Und das funktioniert auf einem Flipchart immer super einfach – Wir tauschen einfach jetzt Kohle und Gas und Öl gegen Wind und Sonne und Wasserstoff – Aber es gibt enorme Anpassungsprozesse. Das soll uns aber nicht davon abhalten die anzupacken. Aber ich glaube man muss ehrlich sein, dass es uns nicht gelingen wird alleine mit der Windenergie überall flächendeckend auch die Energie dorthin zu bringen, wo Sie sie brauchen. 

Zusätzliche Schwierigkeit: Sie haben nicht überall da, wo produziert wird und geheizt wird auch die Möglichkeiten die alternativen oder regenerativen Energie zu erzeugen. Das haben Sie heute schon, dass in Schleswig-Holstein mehr Windenergie erzeugt wird als Schleswig-Holstein selber braucht. Weil Ihnen aber die Trassen fehlen, um das nach, ich sag mal, Baden-Würtemberg oder Bayern zu transportieren, dorthin, wo der Strom gebraucht wird, weil da produziert wird, muss teilweise die Energie kostenlos abgegeben werden ins Netz nach Dänemark oder nach Holland. Das heißt, die Erzeugung ist das eine, aber die Weiterleitung gehört dazu.

Und was ganz wichtig ist, ist die Speicherung. Es muss uns gelingen regenerativ erzeugte Energie zu speichern und dann dort, ich sag mal, zu entspeichern, wo sie gebraucht wird. Und da kommt der dezentralen Energieerzeugung eine große Bedeutung zu. Ich finde es wichtig und richtig, dass wir als Gesetzgeber gesagt habe: Jeder, der sich eine Wallbox ans Haus anschließt, ist auch verpflichtet sich Solaranlagen auf das Dach zu haben oder Ökostrom zu beziehen, um den Investitionsdruck auf die Stromerzeuger dann auszuüben. 

Dann bekommt er 900 Euro Förderung. So eine Wallbox kostet 1.200 Euro, das heißt ich habe einen hohen Anreiz als Privatmann zu sagen: >Ich rüste mein Haus so vor, dass, wenn ich meinen nächsten Wagen kaufe und meinen alten Diesel verkaufe und ein Elektrofahrzeug kaufe, dass ich mit dem selbstproduzierten Strom meinen Wagen laden kann. Dann ist das auch Strom, den ich selber zwischen speichere und den ich nicht dem Netz entnehme<. 

Weil, wenn zehn Millionen Elektroautos nachts geladen würden, würde das deutsche Stromnetz zusammenbrechen. Deswegen ist diese lokale Erzeugung und Speicherung von Strom existenziell für die Energiewende. Und wer hindert mich daran, vielleicht oben auf meinem Kamin auch ein Windrad im Kleinstformat draufzusetzen, das meinen Eigenstrom produziert? 

Und dann bin ich dabei, dass ich den Haushaltsstrom, den ich bisher dem Netz entnommen habe, nicht entnehme und auch gar keinen Strom einspeise, so wie das Erneuerbare Energien Gesetz das mal vorgesehen hat; Ich bin Eigenproduzent und der Strom, der aber nach wie vor erzeugt wird über Windräder, über Photovoltaik und leider Gottes auch noch eine Weile über fossile Energieträger, dann anderen Produktionszweigen zur Verfügung stellen kann wie der Industrie.

Ich glaube allerdings auch, dass wir nicht umhin können das Thema international zu denken oder global zu denken. Ich habe das ja eben schonmal angesprochen: Die Elektromobilität und die Elektroproduktion alleine wird das Problem nicht lösen, sondern wir müssen auch über alternative CO2-neutrale Antriebsformen nachdenken. Das können alternativ erzeugte Kraftstoffe sein, die CO2-neutral sind mit nachwachsenden Rohstoffen, also seit Jahrzehnten wird schon bei E10 oder beim Dieselkraftstoff und auch beim normalen Kraftstoff wird ein Teil, ich sage mal, organisch erzeugte Kraftstoffanteile zugemischt. 

Das kann zwar auch nicht die Lösung sein, dass wir Raps- und Maisfelder nur noch dafür brauchen, dass wir Auto fahren, sondern das ist Nahrung, die produziert wird, die entweder dem Tier oder dem Menschen zur Verfügung gestellt werden muss, aber das sollte man von vornherein nicht ideologisch ausschließen. 

Und ich setze persönlich sehr stark auf das Thema Wasserstoff, weil ich glaube, das ist ein Speichermedium, wenn das von Kosten und Abgaben und Steuern entlastet wird und eine höhere Fertigungstiefe hat, dann kann das irgendwann kostenneutral gegenüber anderen  Antriebsstoffen sein und ich sehe da eine riesen Zukunft drin. Und die Technologie ist da. Wichtig wäre nur, dass das eben auch grüner Wasserstoff ist; Also ich habe alternative Energien, die ich dann über Elektrolyse in Wasserstoff speichere und den Wasserstoff kann ich da hin bringen, wo er eben gebraucht wird, insbesondere in den Industrieanfertigungen. Deswegen ist das ein Bündel von ganz vielen Maßnahmen. 

Und letztendlich, vielleicht ein ganz wichtiger Aspekt, Umweltpolitik: Die Diskussion kommt mir manchmal so vor, als wenn wir – ich darf das mal bildlich machen – in einer Turnhalle sitzen. Und wir sitzen an einem Tisch in der Turnhalle und auf dem Tisch steht eine Kerze und um diese Kerze herum gibt es einen Adventskranz. Und auf einmal fängt der Adventskranz Feuer. Und alle sagen: >Es könnte ja qualmen< und >Es könnte ja jetzt irgendwie der Sauerstoff verbraucht werden und es entsteht zusätzliches CO2< und alle pusten diese Kerze aus. Sie vergessen aber vielleicht ein Stück dabei, dass in der Turnhalle noch 100 Weihnachtsbäume stehen, die gerade lichterloh brennen. 

Wir am Tisch sind Deutschland und, ich sag mal, die ganze Turnhalle ist aber die Welt. Ich will nicht davon ablenken, dass der Weihnachtskranz brennt, dass wir natürlich erstmal unseren Teil dazu beitragen, um ein Feuer zu verhindern und das auszupusten, wir dürfen aber auch nicht die Augen davor verschließen, dass bereits heute schon viele Weihnachtsbäume lichterloh in Flammen stehen und, ich mach das mal bildlich: Wenn der brasilianische Staatspräsident Bolsonaro zulässt, dass eine Brandrodung des Amazonasgebietes stattfindet, wenn afrikanische Staatslenker zulassen, dass das Kongobecken abgeholzt wird und dass auf Sumatra Tropenholz abgebaut wird, damit wir Bankirai hier verlegen können oder dass wir in Nutella Palmöl drin haben als Zusatzstoffe, dann ist das ein Umstand, den wir nicht nur wahrnehmen, sondern auch bekämpfen müssen. Ich halte das für ein Verbrechen, für ein ökologisches Verbrechen an der Menschheit und ich würde mir da mehr Aufmerksamkeit wünschen. 

Und da reden wir dann auch über Effektivität. Weil wenn wir Teil des Geldes, weil das wird Geld kosten, der Klimawandel wird Geld und unter Umständen auch kurzfristig Wohlstand kosten, aber wenn wir einen Teil unserer Bemühungen da stärker investieren würden und sagen würden: >Lasst uns bitte da anfangen, wo es am stärksten brennt<, ohne unsere eigenen Verpflichtungen zu vermindern, dann wäre dem Weltklima viel, viel stärker geholfen. 

Weil wir werden in Deutschland alleine den Klimawandel nicht aufhalten können. Das ist eine Völkergemeinschaftsaufgabe. Wir sind zwar Vorbild, weil wir doppelt so viel CO2 emittieren als der Durchschnitt auf der Welt, aber nur wenn wir alles auf Null fahren, wird das Weltklima dadurch nicht gerettet. Deswegen ist das so ein Petitum, was weit über die Grenzen von Deutschland hinaus geht.”

Für wie effektiv halten Sie die CO2-Steuer insgesamt? An welchen Stellen würden Sie nachbessern wollen?

“Die Effektivität bemisst sich ja immer nach der Lenkungswirkung. Und ich halte die CO2-Steuer in der jetzigen Konstruktion für zu gering. Wir reden ja im Moment über ein Einstiegsniveau von 25 Euro und die sollte auch deutlich erhöht werden, damit Menschen bei Investitionsentscheidungen – und da bin ich wieder bei: Die Politik muss Regeln setzen und andere Menschen passen sich aufgrund der Regeln bei ihrem Konsum und ihren Investitionsentscheidungen an; Das heißt, ich muss da die Lenkungswirkung verstärken. 

Ich darf das aber auch nicht zu stark machen, damit Leute sagen: >Ich kann mir Mobilität nicht mehr leisten<. Weil es gibt halt Menschen, auch im Oberbergischen Kreis, die sagen: >Ich habe ein zwölf Jahre altes Auto und ich muss morgens von Bergneustadt nach Wipperfürth fahren zu meiner Arbeitsstelle und zurück. Und ich kriege ich das auch so schnell nicht hin mit dem Öffentlichen Personennahverkehr substituiert<. Und dann ist das die Wahrheit, dass der zur Aufrechterhaltung seiner Einkommensmöglichkeit eben mit dem Auto fahren muss. 

Wenn ich jetzt sage: Ich mache 100 Euro direkt am Anfang, dann wird der Spritpreis, ich sage mal, um 40 Cent sofort nach oben gehen und dann wird der sagen: >Ich kann meinen Job nicht mehr erfüllen. Das heißt, ich muss mir ein anderes Arbeitsverhältnis suchen, ansonsten kriege ich das nicht mehr bezahlt<. Und die Kompensation über den Strompreis würde dann vielleicht nicht ausreichen, um jetzt diese individuelle Situation zu lösen. 

Ich muss aber die Lenkungswirkung erzielen, um eine Verhaltensänderung herbeizuführen. Ich muss also Anreize setzen, dass Menschen bewusst auf PKW-Verkehr verzichten und sich genau überlegen: Ist jede Fahrt erforderlich? Kann vielleicht die kurze Fahrt zum Supermarkt zu Fuß machen oder mit dem Fahrrad? Aber ich kriege nicht alles substituiert. 

Und die Vorstellung, dass ich jeden Morgen mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre, auch über Kilometer hinweg, mag dem einen oder anderen Sportlichen gefallen, aber die halte ich persönlich für naiv und das ist nicht ehrlich, sondern ich muss da einen angemessenen Einstieg finden, um auch eine Lenkungswirkung, aber auch eine sozialverträgliche Lenkungswirkung irgendwo hinzubekommen. 

Und am langen Ende ist das ein marktwirtschaftliches Prinzip, also der Handel mit CO2-Zertifikaten, der die Lösung sein wird, also die Kopplung nicht nur industrielle Produktion, die ja heute bereits in diesem System ist, sondern eben auch Verkehr und Heizen muss da  mit aufgenommen werden. Weil Menschen, die vor der Entscheidung stehen: >Soll ich mir denn jetzt eine neue Gastherme anschaffen oder soll ich mal vielleicht darüber nachdenken, ob ich über über eine Geothermie oder über einen Wärmetauscher, über eine Wärmepumpe oder über Holzpellets, nachwachsende Rohstoffe vielleicht sogar günstiger bin?< Dafür ist dann eben das Setzen von Preisen ganz wichtig.”

Ein wichtiges Thema im Oberbergischen ist der Wald. In vielen Fällen wird Forst auch als Investition zur Aufbesserung der Rente gekauft. In den letzten Jahren hat der Wald (unter anderem durch den Anbau von Monokulturen) jedoch stark gelitten, z.B. unter dem Borkenkäfer.
Sehen Sie in diesem Sinne einen Unterstützungsbedarf in der Forstwirtschaft? 

“Absolut. Absolut. Also ich glaube wie kein zweiter Landkreis sind wir im Oberbergischen vom Waldsterben betroffen. Erstens, weil wir sehr stark diesen bergischen Brotbaum hatten, die Fichte, wo Wald also auch eine Anbaufläche war, wo Waldbauern auch tatsächlich Einkommen erzielt haben, teilweise in der Vergangenheit in einer Haupterwerbsfunktion, über Generationen hinweg gibt es ja diese Bruchteilseigentümergemeinschaften. 

Wir haben glaube ich über 20.000 Eigentümer von Wald im Oberbergischen Kreis, das ist unvorstellbar viel. Viele Leute sagen: >Das interessiert mich nicht, da habe ich irgendwo noch ein paar Fichten stehen gehabt< und die geben das an Forstbetriebsgemeinschaften ab, aber es gibt eine unendlich große Zahl von Beteiligten und auch Betroffenen. Und jetzt ist zunächst mal geboten, dass im Rahmen der Verkehrswegesicherungspflicht überall dort geschnitten wird, gerodet wird, wo eine Gefahr für die Umwelt, für die Umgebung besteht, also an Verkehrstrassen, an Wanderwegen. Weil das ist Gefahr für Leib und Leben, wenn da starker Wind ist und die knicken um und da fällt Ihnen was auf den Kopf, das ist nicht lustig. 

Zum Zweiten muss man sich Gedanken machen: Wie kann man das wieder grün machen? Das hat ja auch eine Optik und das hat ja auch etwas mit Umgebungsqualität zu tun und das hat was auch mit CO2-Senkung zu tun, weil Wald bindet über Jahrzehnte CO2, hat also eine ganz wichtige klimatische Funktion. Und insofern hat die Politik, weil die Gesellschaft ein Interesse hat, dass es wieder grün wird und dass auch wieder Wald da ist, die berechtigte Forderung alles dafür zu tun, um Wald wieder wachsen zu lassen. 

Und jetzt gibt es die Entscheidung: Was pflanze ich denn da an? Und diese Entscheidung sollte grundsätzlich dem Eigentümer überlassen bleiben, weil ansonsten greife ich in dessen Eigentumsrechte ein. Das ist ein Unterschied, ob ich sage: Ich betreibe Waldwirtschaft unter einem Einkommensaspekt und ziehe da Teile meines Einkommens raus oder dass ich öffentliche Hand wäre, auch die ziehen Einkommen daraus und sage aber: >Das hat für mich einen Naherholungscharakter oder einen touristischen Charakter und deswegen mache ich da bewusst einen Mischwald hin. Da kommen ein paar Buchen, ein paar Eichen, ein paar Weißtannen, ein paar Küstentannen, ein paar Douglasien, ein paar Akazien und ein bisschen Vogelbeere, etc. pp.<. 

Das heißt, diese Entscheidung obliegt erstmal den Eigentümern und die delegieren diese Entscheidung an die Forstbetriebsgemeinschaften und auch die haben keine einheitliche Meinung. Die sagen: >Es gibt Flächen, wo es absolut angemessen ist zu sagen, wir lassen den Wald mal, wir überlassen ihm seine eigene Naturverjüngung<, wobei das Folgeprozesse auslöst, weil entscheidend ist immer, wenn Sie da eine Naturverjüngung haben, welche Pflanzen setzen sich durch? Das ist ja auch ein natürlicher Selektionsprozess oder ein Kampf um Licht und Nährstoffe. 

Dann kann es oftmals dazu führen, dass Sie nur eine Dickung haben in so einem Wald. Da haben Sie nur Brombeeren und da wächst gar nichts mehr. Und das ist weder, ich sage mal, aus einem forstwirtschaftlichen Aspekt heraus nützlich, da schlagen Sie nie Holz raus und ist auch, ich sage mal, von der Optik her als auch bei der Faunapflege nicht sinnvoll, weil solche Regionen, das will kein Mensch haben. Manchmal macht das aber Sinn, dass Sie die Vielfalt haben in einem Wald und es gibt ja nichts schöneres als in einem Mischwald hier im Bergischen zu laufen.

Also meine Auffassung ist: Man sollte das nicht immer gesetzgeberisch vorgeben, sondern das obliegt erstmal den Eigentümern. Das ist meine Auffassung auch von Gesellschaft. Zum zweiten haben die Eigentümer aber glaube ich auch über die Forstbetriebsgemeinschaften eine gute Sensibilität, was denn ökonomisch und ökologisch sinnvoll sein kann. Und wenn ich eine Durchmischung von Baumsorten habe, die unter Umständen auch invasiv sein können, also Bäume, die eigentlich gar nicht hier in Mitteleuropa wachsen, die aber sich durch eine Klimaresilienz ausgezeichnet haben, da kann es durchaus sinnvoll sein, die auch hier zu pflanzen, weil sie würden sich irgendwann mal auch auf dem natürlichen Weg hier ansiedeln. 

Also diese Diskussion um >Das sind keine heimischen Sorten<, das sehe ich sehr ambivalent, weil irgendwann würde es auch, wenn ich nur genug Zeit hätte, würde es auch zu einer heimischen Sorte. Das heißt, man würde dann über eine natürliche Samenvermehrung irgendwann auch dazu kommen, dass sich irgendwann auch eine Douglasie sich hier ansiedeln würde. Das haben Sie bei anderen Pflanzen auch, dieses Phänomen. Das heißt: Ich halte es für zulässig, auch invasive Pflanzen und klimaresiliente Bäume hier zu pflanzen, um möglichst schnell auch eine Wiederaufforstung hinzubekommen. 

Letzter Aspekt: Das kostet Geld und dieses Thema kann man nicht den Eigentümern und den Forstbetriebsgemeinschaften einfach vor die Füße knallen, sondern das ist eine gesamtgesellschaftliche, ambitionierte Aufgabe und ein Interesse, das auch schnell zu lösen. Und deswegen muss da Geld fließen und zwar in einem höheren Umfang, zumal wir ja auch CO2 binden. Und ich plädiere dafür, dass der Wald in seiner CO2-speichernden Funktion auch in Wert gesetzt wird. 

Das ist die Diskussion um die Internalisierung von externen Kosten. Als Volkswirt würde man das so sagen, weil wenn ich bisher CO2 verpulvern konnte, ohne dass ich etwas dafür bezahlt habe, dann muss ich ja zukünftig was bezahlen. Dann heißt das aber umgekehrt, dass derjenige, der CO2 nicht nur vermeidet, sondern bindet, ja eigentlich auch einen Anspruch hat Geld dafür zu bekommen, weil er leistet ja etwas wichtiges. Er bindet Kosten, die normalerweise der Umwelt aufgelastet würden. 

Aus dieser Logik heraus glaube ich, haben die Waldbesitzer und die Forstwirte und die Menschen, die sich mit dem Wald beschäftigen auch einen Anspruch für diese CO2-Senkung bezahlt zu werden. Damit werden sie jetzt keine Millionen verdienen und damit werden sie auch nicht doppelt und dreifach so viel verdienen als wenn sie das Holz verkaufen würden, das ja noch gar nicht da ist, aber ich glaube das ist die Argumentation, die funktioniert und die man da auch spielen muss.”

Sehen Sie einen Regulierungsbedarf für die Aufforstung in Hinsicht auf Monokulturen oder Baumarten? (Frage bereits zum Teil beantwortet, Möglichkeit zu ergänzen)

“Ich glaube das liegt im Eigeninteresse auch der Betreiber. Also die sind ja durchaus lernfähig, Forstwirte, und ich habe mich letztens noch mit Forstbeamten unterhalten, die hier für den Oberbergischen Kreis und darüber hinaus verantwortlich sind und die sagen, das ist wirklich auch im guten Miteinander mit den Forstbetriebsgemeinschaften läuft das. 

Deswegen würde ich das weitestgehend den Menschen selbst überlassen, die Entscheidung. Also, dass man da auch Anreize setzt und im Moment ist es extrem schwierig auch Setzlinge überhaupt zu kaufen, weil wir haben ja so einen riesigen Bedarf und die bedürfen ja auch einer gewissen Aufzucht, das Bäumchen, was ich da einsetze, ist ja eigentlich auch schon seit drei Jahren auf der Welt.”

Verschiedene Tierhaltungsformen stehen stark in der Kritik, doch Änderungen stellen sich bisher eher schleichend ein. Wen sehen Sie in der Verantwortung etwas daran zu ändern? 

“In erster Linie, da mache ich es mir jetzt mal ganz einfach, der Konsument. Das ist aber nur die Hälfte der Wahrheit. Im Grunde genommen: Jeder, der daran beteiligt ist. Ich glaube kein Bauer macht aus Lust und Laune eine Kastenstandhaltung von einer Sau mit den Ferkeln, sondern dahinter steckt ja ein ökonomischer Aspekt, dass die Sau sich nicht hinlegt und die Ferkel selbst erdrückt. Und das passiert bei den natürlichen Haltungsformen, dort, wo die Sau sich auch hinlegen kann, damit die Ferkel sich, ich sag mal, an der liegenden Sau dann auch säugen können. Ich halte das nicht für eine artgerechte Haltung, eine Kastenstandhaltung. Ich halte das in Teilen auch für eine Tierquälerei, also nicht für artgerecht. 

Die ökonomische Begründung dafür ist aber, dass Menschen für 3,33 Euro das Kilo Fleisch kaufen und auch nach wie vor kaufen wollen und der Konsument eine enorme Marktmacht hat. Wenn er sagt: >Ich kaufe Fleische eben nicht aus einer< –  für mich ist das eine industrielle Haltung, das ist eine Massentierhaltung – >Industriellen, sondern ich kaufe bewusst eben Fleisch der Kategorie< – ich weiß jetzt nicht die Reihenfolge, 1, 2, 3, 4, aber ich sage mal >einer höheren Kategorie, weil ich das vergüten möchte<. Das ist also die Marktmacht des Konsumenten, bedingt aber auch, dass Sie eine Transparenz haben müssen bei der Erzeugung. 

Das heißt, Sie haben eine Kennzeichnungspflicht und wenn die auch zertifiziert ist, müssen Sie darauf vertrauen können als Konsument, dass das nicht nur ein Etikett ist, sondern dass das auch der Wahrheit entspricht. So, und dann kann der Kunde ja selbst entscheiden: >Möchte ich nicht artgerecht produziertes Fleisch haben, wo Tierwohl nicht groß geschrieben wird, sondern eher Tierleid oder möchte ich eben 40 Cent mehr bezahlen auf ein Kilo und habe dann die Investitionskosten eigentlich erstattet, die der Landwirt hat, wenn er sagt: Ich entscheide mich bewusst für eine extensivere Tierhaltung<. 

Und das ist Teil der Wahrheit, wo die Diskussion oftmals auch ein bisschen sozialromantisch läuft bei den Menschen, die sagen: >Aber das müsst ihr doch alles von heute auf morgen ändern<. Die Wahrheit ist, dass das ein Fertigungsprozess ist, also das hört sich jetzt sehr unmoralisch an. In dieser Bezeichnung ist es das auch, weil wir reden hier über Lebewesen. Aber es ist ein Fertigungsprozess, wo Menschen irgendwann mal investiert haben in Ställe, in Produktionsverfahren und wenn Sie von heute auf morgen sagen: >Das ist verboten< und Sie haben keine Übergangsfrist, dann ermöglichen Sie diesen Menschen auch nicht mehr das Einkommen zu erzielen und nehmen denen eigentlich die Produktionsmöglichkeiten weg. 

Oftmals müssen Sie das aber so machen, aber dann mit einem zeitlichen Vorlauf. Und deswegen ist dann auch richtig, dass man ein betäubungslose Ferkelkastration mit einer Übergangszeit verbietet, weil das ist Tierleid, was Sie anrichten, dass Sie mit einer Übergangszeit auch Kükenschreddern verbieten und das Gleiche würde ich mir natürlich auch wünschen, was jetzt Kastenstandhaltung bei Schweinen anbelangt. 

Ich halte es aber auch dann für gerechtfertigt, viel, viel stärker mal die Sache aus der Perspektive der Landwirte zu sehen, also jetzt nicht nur spezifisch >Ich habe da in so einen Stall investiert und jetzt sagt die Politik oder die Gesellschaft: Wir finden das doof und jetzt muss das von heute auf morgen geändert werden<; Dass sie das doof finden, finde ich richtig, dass es geändert werden muss, auch; Aber dass wir mal über die Marktmacht auch des Einzelhandels sprechen, des Lebensmitteleinzelhandels, weil die diktieren ja häufig über ihre Sortimentspolitik auch die Preise. 

Der Konsument hat ja gelernt, dass er in einen Laden geht, sich da Fleisch holt und er ist oftmals auch ein bisschen zu träge, jetzt in eine Fachmetzgerei zu gehen, da würde ich mir dann auch ein anderes Konsumentenverhalten wünschen, aber es ist auch Teil der Wahrheit, dass dieser Lebensmitteleinzelhandel oftmals die Preise diktiert. 

Das merken Sie ja sehr stark beim Milchpreis. Wenn Sie sich mit Bauern hier aus dem Bergischen oder auch darüber hinaus unterhalten, haben Sie oftmals die Situation gehabt, dass die unter Produktionspreisen oftmals ihre Milch abgeben mussten und haben damit Eigenkapital verzehrt, weil die Molkereien bereit waren nur zu einem bestimmten Preis die Milch anzukaufen und nicht, weil die Molkereien so böse waren, sondern weil die Molkereien wiederum von dem Lebensmitteleinzelhandel beauftragt wurden, die Milch in bestimmten Fertigungsgrößen zu liefern. 

Und das ist ein Problem, das kriegen Sie von heute auf morgen nur schwer gelöst, weil wenn Sie jetzt beispielsweise sagen: >Es gibt einen Mindestpreis für Milch von 50 Cent auf einen Liter<, im Moment liegt der um die 40 Cent und mit 50 Cent käme die Landwirtschaft prima hin, die würden auch sagen: >Ich habe auch Futterschwankungen, kann ich auch ausgleichen, ich kann auch große Ställe bauen, ich kann auch investieren in Hygiene, in Melkkarusselle, in automatisierte Fütterung, und so weiter und so fort<, dann würden Sie automatisch eine Produktionssteigerung erzeugen und das hatten wir schonmal, Milchseen und Butterberge. 

Und wenn Sie sagen: >Wir lassen es komplett frei laufen<, dann haben Sie genau diesen Prozess, dass ein Einkaufsoligopol oder Oligopsol die Preise diktiert und am langen Ende die bäuerliche Landwirtschaft unter der Knute von wenigen Unternehmen stehen. 

Und Landwirte sind so wichtig für unsere Landschaftspflege. Die produzieren ja nicht nur Nahrung und Milch, die tagtäglich wir essen und verzehren, sondern die sind ja extrem wichtig auch für ein Landschaftsbild und die Inwertsetzung von Landschaft. Und deswegen glaube ich, es ist richtig auch stärker zu differenzieren bei der Vergütung von Landwirten. Und das passiert ja bereits heute, dass wir über die europäischen Finanzierungsquellen für Landwirte auch stärker ökologische Kriterien und auch die Größe des Unternehmens berücksichtigen, weil wir auch die kleineren Betriebe erhalten wollen und müssen. 

Landwirtschaft ist ein ganz toller Beruf, aber ich habe sehr viel Verständnis für Landwirte, die oftmals verzweifeln, weil sie sagen, dass ist meine Arbeit und das ist eine harte Arbeit, da rede ich nicht über 40 Stunden oder über 36,5 Wochenstunden, sondern da rede ich über echte, dauerhafte Arbeit rund um die Uhr, dass die nicht gewertschätzt wird über die Preise. 

Dass die vielleicht darüber hinaus nicht gewertschätzt wird in der Gesellschaft – >Du bist Bauer!< – Also das sind oftmals studierte Leute, die sich sehr viel Mühe gegeben haben, um diesen Beruf zu erlernen, die über die reine Nahrungserzeugung auch eine Verantwortung für Natur und Umwelt haben und da würde ich mir ein bisschen mehr Sensibilität wünschen. Ökologische Kriterien in allen Ehren, sehe ich absolut ein, wir müssen ja auch Umwelt, Wasser, Natur schützen, Tiere schützen, aber ein bisschen mehr Verständnis für die Landwirtinnen und Landwirte würde ich mir an der Stelle wünschen.”

(9) Umwelt-/Verkehrspolitik

Ein beliebtes Thema in fast jeder Wahl der letzten Jahre ist das Tempolimit. Welches Tempolimit halten Sie für sinnvoll und umsetzbar und warum?

“Ich halte nach wie vor eine Richtgeschwindigkeit für angemessen in Deutschland, also Fakt ist: Sie können ja auf 80 Prozent aller Strecken in Deutschland nicht so schnell fahren wie Sie wollen. Hier geht das ja nur über die Autobahn. Auf allen anderen Straßen und Strecken gibt es ja eine Geschwindigkeitsbeschränkung und ich würde mittlerweile auch eine Wette halten, dass wir über 50 Prozent aller Autobahnkilometer auch eine Geschwindigkeitsbeschränkung haben. Das ist der erste Punkt. 

Der zweite Punkt ist: Es liegt ja erstmal im Ermessen eines jeden Autofahrers selbst zu entscheiden, wie schnell er fährt. Es gibt ja keine Verpflichtung schnell zu fahren, sondern es ist ja nur die Möglichkeit. Und insofern würde ich jetzt nicht diese Beschränkung gesetzgeberisch treffen wollen.”

Auch Dieselfahrverbote sind immer wieder im Gespräch. Was ist Ihre Meinung dazu?

“Der Diesel ist ja jetzt in dem Sinne der Verursacher von Stickoxiden oder eben auch von Rußpartikeln. Jetzt haben ja die meisten Dieselfahrzeuge alle einen Katalysator, sie haben auch einen Rußpartikelfilter. Die Stickoxidbelastung in Innenstädten ist teilweise wirklich bedrohlich gewesen und ich sage mal, unter normalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen könnte die auch wieder ansteigen. Jeder kennt das ja: In den Innenstädten gibt es ja immer diese Messstationen und dann haben Sie bestimmte Strecken innerhalb der Stadt, die dann nicht mehr befahren werden dürfen. Das ist berechtigt, wenn Sie, ich sage mal, tatsächlich eine Gesundheitsgefährdung haben. 

Interessant finde ich aber, dass in manchen Städten genau da gemessen wird, wo der größte Ausstoß ist und ich sage mal in anderen Städten oder in anderen Ländern werden diese Messstationen 1,5 Meter weiter von der Straße weggestellt und die halten die Grenzwerte ein. Das ist aber nur eine Möglichkeit, um diese Grenzwerte zu umgehen, aber sie sind ja da. Wenn ich bestimmte Strecken sperre, ist der Verkehr nicht weg, sondern der fährt ja woanders her. Das heißt, der Ausstoß von Stickoxiden passiert ja dann trotzdem. 

Deswegen finde ich es grundsätzlich richtig, dass Umweltzonen eingerichtet wurden, dass Dieselfahrzeuge mit unterschiedlichen Plaketten auch nur begrenzte Zutrittsmöglichkeiten haben zu Innenstädten. Das ist ja heute schon geregelt und das hat meines Erachtens auch dazu beigetragen, dass die großen Dreckschleudern auch aus dem innerstädtischen Verkehr rausgenommen wurden. Sie müssen allerdings berücksichtigen, dass gerade viel Diesel verbraucht wird im Lieferverkehr und da müssen Sie eben auch Anreize setzen bei Handwerkern oder bei Lieferfirmen, dass die auch auf eine, ich sag mal, umweltfreundliche Technologie umstellen können. 

Deswegen war ich ein glühender Freund von dieser Initiative, die ja auch die nordrhein-westfälische Landesregierung begleitet hat, diese Transportfahrzeuge in diesen Elektrosprintern. Also Deutsche Post: Weil, wenn Sie mal überlegen, wie oft diese Paketdienste, ich sage mal, heute schon an Privathäuser oder auch an Geschäfte kommen, das ist ja oftmals nicht nur ein Verkehrshindernis, dass die in der zweiten Reihe parken, sondern die fahren an und dann fahren sie wieder weiter, fahren an, fahren wieder weiter. 

Und durch diesen rhythmischen Verkehr werden zusätzlich viele Dieselpartikel und Stickstoffe ausgestoßen und deswegen bin ich da ein großer Freund von, dass da umgerüstet werden kann. Aber nicht über eine Verpflichtung, sondern auch über Anreize. Das heißt, dass Dieselverkehr gerade im Transporterbereich dann irgendwann mal auch komplett der Vergangenheit angehören wird.”

Der Verbrennerausstieg ist stark umstritten. Ist ein Verbot Ihrer Ansicht nach zielführend?

“Nein. Eindeutig nicht, weil Sie Bereiche haben, wo, ich sage mal, Elektromobilität an die Grenzen kommt. Wenn wir uns mal vorstellen, wir hätten von heute auf morgen nur Elektrofahrzeuge hier im Oberbergischen Kreis, dann würden Sie ja nur fahren, wenn Sie auch eine entsprechende Ladestruktur haben. Und diese Ladestruktur, das ist zwar zielführend, dass Sie das irgendwann mal bekommen, aber um dorthin zu kommen, müssen Sie so viel Geld in die Hand nehmen und müssen so viel Strom produziert haben und der muss vor allen Dingen auch vor Ort produziert sein, dass Sie das überhaupt bewältigt bekommen. 

Zweiter Punkt: Sie können nicht von heute auf morgen den Verbrennerausstieg anordnen, weil Menschen noch über bestehende Fahrzeuge verfügen. Also, Sie können natürlich ein Neuwagen-Verbot aussprechen. Gleichzeitig müssen Sie aber berücksichtigen, dass ja ein Altbestand da ist, der ja auch noch betankt werden muss, der muss gewartet werden und so weiter. 

Das heißt, Sie transformieren eine komplette Wirtschaft, nicht nur das Fahrzeug selber, sondern auch das betanken, das warten, Sie müssen ein Stromtankstellennetz irgendwo errichten. Und ich glaube, dass wir uns auch damit selbst beschränken würden komplett, wenn wir den Verbrennungsmotor ausschließen, wenn wir es nicht zulassen über alternative Antriebsformen zu sprechen, wo ein Verbrenner zwar die Technologie ist, aber wo der Brennstoff, ich sage mal, klimaneutral erzeugt wurde. 

Und das hat einen ganz, ganz wichtigen Nebenaspekt: Wir leben hier im Oberbergischen Kreis von einer mittelständischen Wirtschaft. Im Automotive-Bereich sind sehr viele Arbeitsplätze. Das heißt, es gibt Menschen, die in Firmen hier arbeiten, die Teile für Antriebssysteme von Verbrennungsmotoren herstellen. Ein Elektromotor hat 50 Bestandteile und eine große Batterie und eine bisschen Technik und eine Hülle. Ein Verbrennungsmotor hat eine Vielzahl von Bauteilen und von Antriebsteilen, die hier im Oberbergischen insbesondere produziert werden, wo auch die Automobilzulieferindustrie von lebt. 

Wenn wir sagen: Wir stampfen von heute auf morgen alle Verbrenner ein, dann habe ich zwar ökologisch vielleicht etwas gewonnen, wobei ich immer noch nicht die Frage beantwortet habe, wo der Strom herkommt. Wenn ich aber, ich sage mal, Power to X als native Antriebsstoffe, wo Sonnenenergie, wo Windenergie als Antriebsflüssigkeit gespeichert wird, die ich dann wiederum verbrenne, genauso wie ich nachwachsendes Holz bei einer Holzpelletsheizung ja auch einsetze ökologisch neutral, um ein Haus zu heizen, kann ich ja genauso ökologisch neutral mich bewegen über einen nachwachsenden Rohstoff. Dann hätte ich gleichzeitig die mittelständische Automobilzulieferindustrie gesichert und das ist ein riesen Asset. Da leben wir von in Deutschland. Und deswegen würde ich mir diese Diskussion ein bisschen breiter wünschen.

(10) Coronapolitik 

Wie zufrieden sind Sie mit den derzeitigen Corona-politischen Maßnahmen und was würden Sie verbessern (ausgenommen der Impfstrategie)?

“Also im Großen und Ganzen bin ich zufrieden mit der Coronapolitik, gemessen daran, wie herausfordern diese Aufgabe war. Wir reden hier über eine Erkrankung, die vorher unbekannt war. Wir reden hier eigentlich über eine Politik auf Sicht, die immer wieder wissenschaftlich unterlegt werden musste, weil die Wissenschaft ja auch gelernt hat im Laufe der Zeit. Für die Wissenschaft war das ja auch eine neue Situation. 

Insofern war es zunächst mal richtig sich zu schützen, sich parallel Gedanken zu machen: Wie kommen wir aus dieser Situation wieder raus? Zu lernen: Das geht eigentlich nur am langen Ende über eine Herdenimmunität geht und die können Sie nur erzielen entweder, dass Sie die Krankheit durchleben und durchleiden als Genesener oder dass Sie eben impfen und diese Krankheit nicht selbst bekommen und auch als Überträger zumindest in einem schwächeren Umfeld nur zur Verfügung stehen. 

Ich finde, die Wissenschaft und die Pharmaindustrie, das ist jetzt eher zufällig, dass das ein deutsches Unternehmen ist, die da eine federführende Stellung hatten, aber es gibt ja viele andere Impfstoffproduzenten. Auch, dass das in Rekordgeschwindigkeit gelungen ist, betrachte ich als ein Gottesgeschenk. Dass das, ich sag mal, auch nicht mit den langjährigen Testreihen versehen werden konnte aufgrund der dramatischen Entwicklung dieser Pandemie, ist glaube ich auch klar. Dass es aber aufgrund einer wissenschaftlich basierten Grundlage dann zu einer Impfempfehlung kam, fand ich auch hervorragend. 

Dass es bei dem Thema rund um Impftermine und um Beschränkungen – rein in die Kartoffeln, raus in die Kartoffeln – zu einer extrem komplexen Situation kam, wo viele Leute, aber auch selbst Politiker nicht mehr beantworten konnten: Welche Inzidenzstufe passiert denn was? Sie musste ja jedes Mal wieder nachlesen: Darf ich denn jetzt mit oder ohne Maske, Innengastronomie, Außengastronomie, Test – Ja, Nein? Das fand ich wirklich belastend, um nicht zu sagen, man konnte es nicht mehr ertragen und ich kann es auch mittlerweile – es ist einem leid geworden über dieses Thema dann auch immer wieder, nicht nur als Politiker, sondern auch als Mensch, als Bürger. Wir beschränken gesellschaftliches Leben und deswegen ist das eine riesen Belastung für die Gesellschaft. 

Aber im Großen und Ganzen glaube ich, hat Politik da funktioniert, weil Politik ist nicht nur qua Verfassung, sondern auch, das betrachte ich als die größte Richtschnur für jeden Politiker, dass man Leib und Leben zu schützen hat. Also Schutz von Gesundheit und Leben steht nicht in der Verfassung, sondern sollte die größte Priorität haben für jeden Politiker – unabhängig davon, ob das eine Pandemie ist oder eine Flutkatastrophe. Das ist das, glaube ich, angeborene Verhalten, so sollte es zumindest sein. Und deshalb bin ich im Großen und Ganzen, trotz aller Probleme, die damit einhergehen, eigentlich zufrieden.”

Sollte eine generelle Impfpflicht eingeführt werden? 

“Nein, weil es ist immer noch ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit eines Menschen und insofern eine individuelle Entscheidung, obwohl ich sehr, sehr häufig, wenn ich zornig werde bei solchen Diskussionen und ich habe ja eben gesagt, ich bekomme ein Vielzahl von Zuschriften und ich beantworte jede persönlich, die aus dem Oberbergischen Kreis kommt. Die haben natürlich oftmals den gleichen Hintergrund und die gleiche Argumentation, aber wenn mir Leute dann erzählen wollen, dass das alles nur ein Schnüpfchen ist und, ich sage mal, der Pieks zu einer Persönlichkeitsveränderung oder wir würden alle gechipt und George Soros und Bill Gates, irgendwelche Verschwörungen würden uns da Chips implantieren und dann kriege ich Videos mitgeschickt, wo Geldstücke am Oberarm haften, man muss nur fest genug drauf drücken oder auf dem Kopf oder wie auch immer, dann werde ich manchmal zornig und dann denke ich manchmal: Wir könnten das ganze Thema viel schneller beschleunigt abwickeln, wenn wir eine Impfpflicht ausrufen. Aber ich glaube, das ist zu kurz gedacht. 

Man muss respektieren, dass Menschen sagen: >Ich möchte mich nicht impfen lassen<, aber ich sage mittlerweile sehr, sehr deutlich: Wenn Menschen sich nicht impfen lassen, tragen sie auch ein individuell zu vertretendes Risiko. Weil die Alternative wird zwingend sein, dass die Menschen sich selbst irgendwann mit Corona infizieren und dann tragen sie auch das Risiko einer schwerwiegenden Erkrankung. Und ich würde mir nicht wünschen, dass die Menschen, die sagen: >Ich lehne eine Impfung ab< alle einen schweren, symptomatischen Verlauf ihrer Erkrankung haben. Das wäre bösartig, das will ich nicht. 

Aber ich muss darauf hinweisen, dass sie selber mit den Folgen dann umgehen müssen. Und die Diskussion um >Meine körperliche Unversehrtheit< fängt ja auch dann an, wenn ich einen schweren, symptomatischen Verlauf habe und invasiv beatmet werden muss. Auch das ist ein körperlicher Eingriff und da möchte ich dann auch immer wieder dem Impfgegner sagen: Du lehnst einen Pieks im Oberarm ab, möchtest aber auf der anderen Seite, dass die Gesamtgesellschaft dafür sorgt, dass du, ich sage mal, im Fall einer schwerwiegenden Erkrankung auch intensivmedizinisch beatmet wirst. Und das ist eine Erfahrung, die möchte ich keinem wünschen. Das ist ein ganz schwerer Verlauf und trotz alledem glaube ich, ist es richtig zu sagen, dass es nach wie vor freiwillig ist. 

Ich war heute morgen in Waldbröl auf dem Vieh- und Krammarkt und da hat der Oberbergische Kreis in einer geplanten Aktion ein Impfmobil aufgestellt und allen Menschen die Möglichkeit eingeräumt sich impfen zu lassen. Und ich war total begeistert, wie viele Leute von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben und ich habe eine Mitarbeiterin gefragt: Mit welchen Motiven sind die Leute dorthin gekommen? Und die sagte, im überwiegenden Teil waren das Menschen, die gesagt haben: >Jetzt wird es ja langsam eng, jetzt lasse ich mich impfen, weil demnächst muss ich ja einen Test bezahlen und ich möchte auch wieder als normal Genesener oder Geimpfter dann die Rechte zurückbekommen, die ein Geimpfter heute zurückbekommen hat<. 

Und da ist es ja die Frage: Schränke ich die Rechte extra von Ungeimpften ein oder gebe ich Geimpften und Genesenen ihre eingeschränkten Rechte zurück? Das ist zwar eine juristische Spitzfindigkeit für viele Leute, ist aber ganz wichtig, weil ich auf Dauer Menschen, die keine Gefahr mehr für sich selbst und für das Gesundheitssystem und für die Umgebung sind, auch ihre Rechte nicht vorenthalten kann und deswegen halte ich es auch für zulässig, dass Geimpfte oder Genesene auch, ich sage mal, dann wieder ihre Rechte bekommen, wenn Nicht-Geimpfte sie eben nicht bekommen und dass, wenn die dann wieder einen Teil ihrer Rechte wieder erhalten wollen, dann muss ein Test gemacht werden und dann kann es meines Erachtens nach auch nicht sein, dass die Allgemeinheit dann diesen Test bezahlt, sondern dann gibt es für den Nicht-Geimpften eigentlich nur die Möglichkeit den Test selbst zu bezahlen oder Gefahr zu laufen sich zu infizieren und dann eben über den Nachweis von Antikörpern dann eben auch zu sagen: >Ich bin Genesener< und ab dann eben als Genesener die Möglichkeit.

Am langen Ende geht es darum, dass wir so schnell wie möglich aus der Pandemie rauskommen. Es ist nicht nur eine massive Einschränkung des öffentlichen Lebens, sondern es ist auch Teil der Wahrheit: Es ist eine riesen Belastung für unsere Wirtschaft und für unseren Staat, das kostet auch Geld. Und das Geld würde ich viel lieber in andere Bereiche reinstecken, beispielsweise in die Energiewende.”

Welche Maßnahmen würden Sie zur weiteren Eindämmung der Pandemie für sinnvoller erachten?

“Ich sage mal, da gilt im Grunde, was zu Beginn der Pandemie auch gegolten hat: Dass ich Infektionen vermeide und die Infektionen finden derzeit in den noch ungeimpften Alterskohorten vermehrt statt. Und da sind, ich sag mal, die besonders vulnerable Gruppe der Jugendlichen, die sich nicht impfen lassen konnten oder nicht wollten aufgrund einer noch nicht feststehenden Impfempfehlung durch die STIKO, dass ich die besonders schütze, also nicht nur durch einfaches Fenster auf und zu machen, sondern eben auch über Lüftungskonzepte. 

Im Moment ist das überall möglich. Ich sitze hier in einem Innenhof, wo auch die Fenster auf stehen, aber wenn wir jetzt Anfang Dezember hätten und wir hätten zwei Grad, Schmuddelwetter und der Wind würde quer stehen, dann können Sie das auf natürlichem Wege einfach vergessen. Und das halte ich für ein gefährliches Spiel auf Zeit jetzt zu hoffen, dass wir bis Dezember vielleicht in einer Infektionslage sind, wo ein zusätzliches Lüften oder Entlüften nicht mehr erforderlich ist. 

Auf der anderen Seite ist das jetzt auch nicht das kriegsentscheidende, ich nehme mal dieses böse Wort >kriegsentscheidende<, Thema, weil wir bisher nicht davon ausgehen, dass Kinder bis 12 Jahre, da gibt es ja auch keine Impfempfehlung und auch keinen Impfstoff, keinen symptomatischen Krankheitsverlauf haben. Ich möchte da aber auch, ich sag mal, nicht tausendprozentig sicher sein, weil ich kein Infektiologe bin und auch kein Mikrobiologe oder Virologe, deswegen kann ich aufgrund meines beschränkten Wissens nicht versprechen, dass es keinerlei Auswirkungen haben wird. 

Und deswegen kommt einem Aspekt eine ganz, ganz große Bedeutung zu: Dass alle Menschen, die sich noch nicht geimpft haben, aber impfen lassen können, auch eine soziale Verantwortung haben. Ich glaube, das ist auch ein Akt der Solidarität sich impfen zu lassen; Nicht nur sich selbst zu schützen, sondern wenn ich mich selbst schütze, schütze ich auch andere Leute und deswegen sollte man diese niedrigschwelligen Impfangebote auf jeden Fall immer und immer wieder spielen. 

Und ich glaube, der soziale und gesellschaftliche Druck wird zunehmen, weil im Rahmen der Vertragsfreiheit kann ich keinem Gastronomen verbieten, dass der sagt: >Hier haben nur Zutritt Menschen, die mir ein Impfzertifikat vorlegen<. Das darf ich dem sogar gar nicht verbieten. Und ich darf auch keiner Fluggesellschaft verbieten nur Fluggäste zu transportieren, die entweder genesen oder geimpft sind.  

Und ich bin sehr sicher, dass sich dadurch viele Menschen jetzt auch, ich sag mal, genötigt sehen sich impfen zu lassen. Die Erfahrung, die ich heute gemacht habe auf dem Vieh- und Krammarkt, wo sich hunderte von Menschen spontan entschieden haben den Ärmel hochzukrempeln, bestätigen mich darin. Sie werden immer noch eine verschwindende Minderheit haben von Menschen, die sagen: >Aus ideologischen Gründen will ich das nicht<. Da muss ich aber auch knallhart sagen: Da müssen Sie auch das Risiko tragen einer Infektion. Es gibt auch das Recht auf Infektion. So bitterböse sich das anhört, aber dann ist das eben so.”

Was würden Sie einer Person antworten, die die Sicherheit von Corona-Impfstoffen anzweifelt?

“Dass ich die Sorgen verstehen kann, weil in der Vergangenheit Impfstoffe über Jahre hinweg getestet wurden, insbesondere die Langzeitfolgen von Impfstoffen, dass es aber hier eine Risikoabwägung gibt. Dass wir schlicht und ergreifend nicht die fünf, sechs, acht oder zehn Jahre Zeit haben, um diesen Impfstoff in einem begrenzten Feldversuch auf Langzeitwirkungen zu untersuchen und ich will jetzt nicht sagen: >Dann lesen Sie sich mal den Beipackzettel von einer Kopfschmerztablette durch<, aber im Moment reden wir ja über Nebenwirkungen im hundertsten Promille Bereich, also Fälle 1 auf 100.000 so in etwa. 

Und auch da ist immer die Frage: Ist das jetzt eine Nebenwirkung der Impfung oder ist das ein Phänomen, eine Inzidenz oder eine Indikation, die andere Gründe hat? Wenn ich das mal mit einer Medikation vergleiche, dann ist das auch in einem meines Erachtens akzeptablen Maße, weil jedes Medikament kann Nebenwirkungen haben. Jeder Mensch, der krank ist, entscheidet über die Medikation: >Möchte ich gesund werden? Hilft das Medikament meiner persönlichen Gesundung? Und nehme ich da auch Nebenwirkungen in Kauf?<, die, ich sage mal, bei jeder Medikation stattfinden. Und das gleiche Abwägen von Risiken passiert eben auch bei den Impfstoffen und deswegen halte ich das für zulässig, in einer Risikoabwägung.”

(11) Corona und Wirtschaft

Im Verlauf der Pandemie gab es wirtschaftlich Gewinner und Verlierer. An vielen Stellen musste auch der Staat finanzielle Hilfe leisten (Soforthilfe).
Wie würden Sie die finanziellen Hilfen in Zukunft organisieren?

“Ich will hoffen, dass sie nicht erforderlich sind in Zukunft, weil die Wahrheit ist: Wir haben ja 500 Milliarden Euro rund ausgegeben in zwei Jahren – zusätzlich. Und das sind ja Schulden, die ja irgendwann auch mal zurückbezahlt werden müssen, die nicht nur unsere finanziellen Möglichkeiten in den nächsten Jahren stark einschränken, Stichwort Kassensturz, was wird zukünftig noch staatlich finanzierbar sein? Wo liegt die Priorität in der Finanzierung? Sondern, wir müssen das Geld ja auch irgendwann mal zurückzahlen. 

Und die Wahrheit ist, dass das ja auch unsere Kinder und Enkelkinder irgendwo belastet. Also, wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen, dann hat das nicht nur etwas mit einer ökologischen Nachhaltigkeit zu tun, sondern auch mit einer finanziellen Nachhaltigkeit. Und ich halte es, auch im Rahmen der Generationengerechtigkeit, nicht für angemessen auf Dauer sich in diesem Maße weiter zu verschulden, sondern deshalb ist es zwingend erforderlich, dass der Grund der Verschuldung, der Wirtschaftshilfen wegfällt. Das ist die Pandemie. 

Und dann müssen Sie sich die Frage natürlich stellen: Wie wachsen wir denn aus dieser wirtschaftlichen Unterfinanzierung heraus? Wie will der Staat sich denn zukünftig finanzieren? Und da gibt es ja unterschiedliche Modelle, wer es bezahlen soll. Und da gibt es eine Partei oder Parteien, die sagen: >Wir schließen eine Vermögensabgabe nicht aus, eine Sondernotopfer Corona, wo wir den Reichen etwas wegnehmen, um diese 500 Milliarden Euro auszugleichen oder über eine dauerhafte Einführung einer Vermögenssteuer<, so nach dem Motto: >90 Prozent sind da nicht von betroffen oder 80 Prozent sind da nicht von betroffen, aber die, die was haben, tragen jetzt mehr dazu bei<. 

Darüber muss man sich unterhalten, welche Folgen das hätte und was denn die Bemessungsgrundlage ist. Ist ein Einfamilienhaus schon Vermögen? Wenn es Vermögen ist, wenn ich da jedes Jahr drei Prozent von bezahlen muss, ist das gerecht, dass ich mir 20 oder 30 Jahre lang ein Einfamilienhaus erarbeitet habe und jetzt kommt der Staat und nimmt mir Geld weg? Was ist mit Betriebsvermögen? Muss ich dann auch bezahlen? Vernichte ich dadurch Arbeitsplätze? Das sind alles so Fragen, die da gestellt werden. 

Und erhöhe ich die Steuern, um das Geld wieder zurückzuzahlen? Und meine Auffassung ist, und da gibt es auch ein gutes Beispiel für, dass das auch ohne Steuererhöhung klappen kann, das war die Finanzkrise 2008/2009, wo wir ja nicht in dem Umfang, aber in einem ähnlichen Umfang auch Wirtschaftshilfe geleistet haben, wir haben den Staatshaushalt über Gebühr belastet und haben uns danach auch wieder die Frage gestellt: Wie kriegen wir das ausgeglichen? Und das haben wir ausgleichen können, und zwar, dass wir die Verschuldung konsequent abgebaut haben über ein Wirtschaftswachstum. 

Wenn wir über Wachstum da raus kommen, dann ist die Frage: Was ist wachstumsfördernd und was ist wachstumshemmend? Und Deutschland ist auch da nicht auf einer Insel der Glückseligen, sondern wir sind im internationalen Wettbewerb und wenn die deutschen Unternehmen im Moment mit die höchste Unternehmenssteuerbelastung haben und ich würde da jetzt noch was oben drauf legen, dann würde ich nicht weiteres Wachstum in Deutschland erzielen, sondern ich würde eher dazu beitragen, dass die Unternehmen abwandern, ins Ausland ihre Produktion verlagern und dort Wertschöpfung betreiben und wir haben gar nichts. Also muss ich sehen, dass ich ein wettbewerbsfähiges Steuersystem habe und die Steuern nicht erhöhe, sondern es den Menschen zutraue sich selbst durch ihre Arbeitskraft, auch durch die Leistung der Unternehmen, aus der Krise rauszuarbeiten. 

Ich befürchte, wenn Steuererhöhungen kommen, dass das nicht unbedingt zum wirtschaftlichen Wohlstand beiträgt und zu steigenden Steuereinnahmen, sondern die Bemessungsgrundlagen für die Steuern werden kleiner und Sie erreichen durch eine Steuererhöhung genau das Gegenteil, dass Sie weniger Einnahmen als Staat haben, als wenn Sie die Steuern gleich lassen oder in einzelnen Bereichen sogar die Steuern ein bisschen runter nehmen. Deswegen ist das für mich die Blaupause für die Zukunft, um aus dieser finanziellen Not auch des Staates herauszuwachsen.”

Wie sollen diese Maßnahmen langfristig finanziert werden?

“Über wirtschaftliches Wachstum.”

Haben Sie eine Position zu den Änderungen des Insolvenzrechts im Zuge des Infektionsschutzgesetzes? 

“Die habe ich, weil wenn Sie ohne Not und aufgrund von Coronabedingter Kurzarbeit, aufgrund von Coronabedingter Absatzschwäche, aber eigentlich bei einer gesunden Wirtschaftsstruktur Ihres Unternehmens zahlungsunfähig werden, zumindest nach dem geltenden Gesetz zahlungsunfähig werden und Ihre Rechnungen nicht ordnungsgemäß bedienen können, haben wir ja im Sinne des Schuldrechts ein Zivilschutzpaket aufgelegt als große Koalition, wo wir diese Dauerschuldverhältnisse auch stunden konnten. Das heißt, Sie konnten Ihre Steuerzahlung stunden, Sie konnten Ihre Mietzahlung stunden, Sie konnten Ihre Ratenverpflichtungen stunden. 

Das ist alles in Rekordzeit auf die Beine gestellt worden, auch mit größtem Widerstand der Kreditwirtschaft, der Eigentümerverbände und wir haben festgestellt: Die Welt ist nicht untergegangen, sondern auch die haben ein Interesse gehabt, am langen Ende zu sagen: Ja, es ist richtig, dass ich die Darlehensverpflichtungen meines Gewerbekundens fünf, sechs, acht, zehn Monate stunde, weil wenn ich sie sofort fällig stelle, ist der platt und wenn der sofort Insolvenz anmelden muss, dann habe ich meinen Kredit verloren. 

Das heißt, wir haben im Grunde genommen die Wirtschaft in Watte gepackt, so ein bisschen eingefroren und haben die dann wieder aufgetaut in dem Moment, wo bestimmte Unternehmen wieder arbeiten konnten. Und deswegen bin ich ein großer Verfechter dieser Veränderungen der Insolvenzrechtsituation. 

Die darf allerdings nicht dazu führen, dass Sie Unternehmen, die in dem natürlichen Wirtschaftsprozess irgendwann nicht mehr überlebensfähig sind, künstlich konservieren und auch konservieren zu Lasten anderer Wirtschaftsteilnehmer, weil wenn Sie diese Insolvenzanmeldung nicht machen müssen aufgrund der Rechtslage, aber weiterhin wirtschaftlich tätig sind, dann können Sie ja theoretisch noch Produzenten beauftragen Ihnen Waren zu liefern oder Handwerker beauftragen ihre Leistungen durchzuführen, die Sie aber gar nicht bezahlen können.

Das heißt, so eine Insolvenzanmeldung hat ja auch immer eine Signalwirkung gegenüber dem Markt und wenn die nicht mehr funktioniert, dann haben Sie auch negative Effekte. Deswegen ist ja auch befristet worden und in Teilbereichen ist es ja auch wieder aufgehoben worden. Aber es war Teil eines, so wie ich fand, angemessenen Konzeptes, so einen >Stand By Modus< herbeizuführen.”

(12) Flüchtlingspolitik 

Die Flüchtlingspolitik ist seit mehreren Jahren ein umstrittenes Thema in Deutschland. Wo würden Sie sich in dieser Hinsicht positionieren und wie zufrieden sind Sie mit den derzeitigen politischen Maßnahmen der Bundesregierung im In- und Ausland? 

“Das ist, glaube ich, mit Abstand die schwierigste Frage. Deutschland ist nicht nur ein Rechtsstaat, sondern, ich sag mal, hat sich eine Verfassung aus gutem Grunde sich gegeben aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, weil Deutschland in dem Zweiten Weltkrieg ein Terrorregime hatte, ein undemokratisches, extremistisches Regime, wo die Rechte außer Kraft gesetzt wurden, wo Menschenrechte mit Füßen getreten wurden, wo Deutschland, ich sage mal, großes Leid über die Welt gebracht hat. 

Aus dieser Erfahrung heraus hat sich Deutschland eine Verfassung gegeben, wo auch Asylrecht einen großen Teil einnimmt und ich glaube, es ist Teil unserer internationalen Verantwortung dieses Asylrecht, was Teil eines Menschenrechtskatalogs ist, eben auch zu erhalten und nicht nur Menschen Asyl, sondern auch Schutz und Unterkunft zu gewähren im Fall von Krieg und Vertreibung. 

Also man differenziert ja Asylrecht und subsidiären Schutz. Den können wir aber nur erhalten, diesen Schutz und dieses Grundrecht, wenn wir auch da, ich sage mal, die soziale Balance berücksichtigen. Und, das ist die Kehrseite dieser Medaille, dass wir auch die Grenzen schützen müssen vor unberechtigten Einreisen, also wenn Menschen aus sicheren Drittländern nach Europa kommen, um hier Teil des Wirtschaftssystems zu werden, ohne, ich sag mal, entsprechend qualifiziert und ohne legitimiert zu sein, dann ist das meines Erachtens richtig als Staat das zu verhindern. 

Da sind wir eben bei dem Schutz der Außengrenzen. Das ist Teil der bitteren Wahrheit: Wir haben derzeit rund 80 Millionen Binnenflüchtlinge weltweit und jeder von diesen Menschen hat unterschiedliche Motive, warum er auf der Flucht ist, aber sehr viele Menschen haben keine wirtschaftliche Perspektive in ihrem Heimatland und das wird durch die Klimaveränderung ja eher noch stärker als dass es weniger wird. 

Aber es ist Teil einer bitteren Wahrheit, dass Menschen eben auch eine Perspektive suchen und dann dorthin gehen, bedingt durch unbegrenzte Information, die weltweit verfügbar ist, vermeintlich in das gelobte Land Deutschland, Österreich, Schweden, Frankreich, überall hinkommen wollen und deswegen muss das koordiniert und muss auch, das ist Teil der unbequemen Wahrheit, begrenzt werden. Das heißt, Deutschland kann nicht, ich sag mal, 80 Millionen Menschen aufnehmen. Und ich halte es für eine sozialromantische Vorstellung, dass das alleine Deutschland leben könnte. 

Da Deutschland keine natürlichen Außengrenzen zum Mittelmeer unterhält und wir aber, ich sag mal, als europäische Gemeinschaft unsere Außengrenze schützen müssen, hat Deutschland aber ein lebhaftes Interesse, den Zutritt von unberechtigten Flüchtlingen zu verhindern, weil es gibt im Schengen-Raum eben auch kaum die Möglichkeit Grenzübertritte zu koordinieren oder zu kontrollieren. 

Das haben wir eben in 2015 gemerkt, als 1,5 Millionen Menschen in europäischen Grenzen sich aufhielten und die Mehrheit eben nach Schweden, nach Österreich und nach Deutschland wollte. Und nicht alle diese Menschen sind integrationsfähig und nicht alle diese Menschen wollen auch Teil dieses gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systems werden. Das ist auch eine unbequeme Wahrheit, die aber, wenn Sie sich mit Menschen aus der Flüchtlingshilfe unterhalten, auch Teil der Realität ist. 

Und ich möchte mit allen Mitteln als Staat das Asylrecht und Schutz erhalten. Damit es aber erhalten werden kann, muss ich Migration steuern und ich muss die Entscheidung, ob jemand berechtigt ist nach Deutschland oder in die Europäische Union zu kommen, auch an der Außengrenze vollziehen, weil, wenn es in der Innengrenze passiert oder in Europa selbst und man stellt fest: Der hat kein Recht sich hier aufzuhalten, haben Sie oftmals keine Möglichkeit, den Menschen in sein Heimatland wieder abzuschieben, weil Sie gar nicht wissen, wo der herkommt – weil der seine Identität verschleiert, weil Versagensgründe bestehen, weil, ich sag mal, andere Gründe eine Rolle spielen und das ist Teil einer bitteren Wahrheit, die zukünftig auch Europa beschäftigen muss, weil wir das nur europäisch gemeinsam lösen können. 

Und das beinhaltet auch eine faire Verteilung von Lasten, weil die Unterbringung von Flüchtlingen und von Schutzbedürftigen kostet Geld und muss auch meines Erachtens auch eine europäische Aufgabe, ist auch europäisch angemessen, verteilt werden. Und da sind wir dann eben bei einer Reform von dem berühmten Dublin-Abkommen, wo sich eigentlich alle verpflichtet haben bestimmte Dinge zu tun. Das muss dringend reformiert werden. Das obliegt aber leider Gottes nicht nur der nationalen Gesetzgebung, sondern der Zustimmung eben von allen europäischen Mitgliedsstaaten. 

Und, ob Deutschland alles richtig gemacht hat? Sicherlich nicht. Sicherlich nicht. Und ich glaube, eine Situation wie im Herbst 2015 würde sich so auch nicht mehr wiederholen, weil man schlicht und ergreifend von der Masse auch und von den, ja, Realitäten überrollt wurde. 

Und das allerwichtigste in diesem Thema ist, dass die Menschen keine Veranlassung haben, ihre Heimat zu verlassen und dass sie eine Perspektive vor Ort haben. Und das klingt jetzt ein bisschen nach Pippi Langstrumpf, >Ich mal mir die Welt, so wie mir sie gefällt<, aber ich sehe da langfristig echt eine Chance, wenn es uns gelänge, Länder, die derzeit keine wirtschaftliche Perspektive haben, im Rahmen der Energieerzeugung eine wirtschaftliche Perspektive zu geben. Dann kann das Teil einer Vermeidung von Fluchtursachen bedeuten, weil wenn Sie sich das Bevölkerungswachstum und die Bevölkerungsentwicklung in einzelnen afrikanischen Staaten angucken und Sie wissen, dass da heute schon prekäre wirtschaftliche Verhältnisse bestehen, dann darf ich keinem dieser Menschen böse sein, wenn er sich auf den Weg macht in ein vermeintlich besseres Land. 

Ich verurteile niemanden dieser Menschen, ich habe da absolutes Verständnis für. Ich bin dreifacher Familienvater, ich würde genauso handeln. Wenn meine Kinder und ich und meine Frau irgendwo eine bessere Lebensperspektive hätten, ich würde es machen. Deswegen ist das immer eine ganz, ganz schwierige Entscheidung und das hat auch immer so ein bisschen, ich will nicht sagen mit Schuld, aber einfach mit Menschlichkeit zu tun, was man dann abwägen muss. 

Aber, was wir dringend ändern müssen, das ist das Dublin-Abkommen in Europa. Wir müssen Nationen dazu bewegen, auch ihren Teil dazu beizutragen. Wir müssen Grenzen, ich sag mal, stärker schützen. Wir müssen die Entscheidung darüber, ob jemand berechtigt ist oder nicht, vor die Grenze ziehen und wir müssen auch über Migrations sprechen, die gezielt stattfindet, weil unsere Gesellschaft überaltert und es ist Teil der ökonomischen Wahrheit, wenn ich die Sozialsysteme erhalten möchte, Rente, Pflege, Krankenversicherung, dann brauche ich Menschen, die freiwerdende Arbeitsplätze auch qualifiziert besetzen. 

Und deswegen halte ich es auch für zulässig, ich sage mal, über entsprechende qualitative Verfahren auch gesteuert Zuwanderung nach Deutschland aufzunehmen. Das ist Teil unserer ökonomischen Notwendigkeit.”

(13) Ergänzung

Selbstverständlich können wir in einem Dreiseitigen Fragebogen nicht alle Themenbereiche abdecken. Gibt es ein noch nicht genanntes Thema, das Sie genauer ausführen möchten? 

“Ich finde ein Thema ganz wichtig, was eigentlich alle anderen Themen auch ein Stück weit als Klammer umfasst und das geht in die Richtung: Wer hat eigentlich Verantwortung für unsere Gesellschaft? Das ist Politik, ja, das ist jeder einzelnd, aber was ganz, ganz wichtig ist: Dass die Gesellschaft zusammen bleibt und das geschieht eben sehr stark über Vereinsleben, über Kultur, über Ehrenamt. Und das ist ein Prozess, der durch Corona also doch wirklich aus der Bahn geworfen würde. 

Also ich finde das so bedenklich, wenn Chöre nicht mehr existieren, weil seit über anderthalb Jahren nicht gesungen wurde, dass Blasorchester keine Möglichkeit hatten zu proben, dass Schützenfeste ausfielen, dass Karnevalsveranstaltungen abgesagt werden mussten, dass Konzerte auch im kleinen Kreis nicht stattfinden konnten, weil Leben ist ja mehr als arbeiten, schlafen, essen, sondern Leben ist ja auch Kultur, ist Verbindung, ist gemeinschaftliches Erlebnis. 

Und deswegen ist mir das Ehrenamt und ist das Vereinsleben so wichtig. Das passt zwar nicht spezifisch in das eine oder andere Thema ganz konkret, aber es gibt so viel ehrenamtliches Engagement, auch im Umweltbereich, im Bereich Menschenrechte, im Bereich Flüchtlingshilfe, im Bereich Kultur und das ist mir besonders wichtig und was mir am Herzen liegt. 

Ich glaube, das ist auch eine Aufgabe der Politik ehrenamtliche Strukturen zu erhalten. Und da reden wir schlicht und ergreifend über Geld auch. Wenn ich einen Ausgabenzettel habe, dann gehört das mit da drauf. Das betrachte ich als wichtig, weil das ist der vielfach apostrophierte Kit, der die Gesellschaft zusammenhält, das macht auch Spaß und ich glaube, das macht Leben aus.”

Veröffentlicht von:

Amei Schüttler
Amei Schüttler
Amei Schüttler ist Redakteurin bei den Oberberg-Nachrichten. Sie sitzt in unserer Zentralredaktion in Bergneustadt. Sie ist per Mail redaktion@oberberg-nachrichten.de für unsere Leser erreichbar.

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