Bundestagswahl 2021Kommunen

Direktkandidaten im Interview: Jörg von Polheim (FDP)

Oberberg – Für die kommende Bundestagswahl haben die Oberberg-Nachrichten.de wieder einige Interviews mit den in Oberberg zur Verfügung stehenden Kandidaten geführt. Allen neun Kandidaten wurde zur gleichen Zeit die gleichen Konditionen gesendet und innerhalb des Interviews Fragen nach dem gleichen Fragebogen gestellt (hier nachzulesen).

Die am 26. September zur Wahl stehenden Direktkandidaten sind:

  • Dr. Carsten Brodesser, CDU (hier geht es zum Interview)
  • Michaela Engelmeier, SPD (stand leider nicht für ein Interview zur Verfügung)
  • Jörg von Polheim, FDP
  • Bernd Rummler, AfD (hier geht es zum Interview)
  • Sabine Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (stand leider nicht für ein Interview zur Verfügung)
  • Diyar Agu, DIE LINKE (stand leider nicht für ein Interview zur Verfügung)
  • Philipp Ernst Wüster, DIE PARTEI (stand leider nicht für ein Interview zur Verfügung)
  • Christian Abstoß, Freie Wähler (hier geht es zum Interview)
  • Markos Pavlidis, DieBasis (hier geht es zum Interview)

Das fünfte Interview führten wir am 16. August mit Jörg von Polheim. Da die Interviews zum Teil etwas länger geraten sind, orientieren Sie sich gerne an unserem Inhaltsverzeichnis:

Inhaltsverzeichnis

  1. Kurzvorstellung
  2. Persönliche politische Schwerpunkte
  3. Kanzler-Kandidaten/-Kandidatinnen
  4. Bundeswehreinsätze
  5. Nebeneinkünfte
  6. Spaltung der Gesellschaft
  7. Wirtschafts-/Finanzpolitik
  8. Umweltpolitik
  9. Umwelt-/Verkehrspolitik
  10. Coronapolitik
  11. Corona und Wirtschaft
  12. Flüchtlingspolitik
  13. Ergänzung

(1) Kurzvorstellung

Würden Sie sich zunächst einmal kurz vorstellen? (Name, Alter, Beruf und polit. Zugehörigkeit und Erfahrungen)

“Mein Name ist Jörg von Polheim, ich bin fast 62 Jahre alt, im Laufe dieser Woche passiert das. Ich bin verheiratet und hab vier Kinder und zur Zeit vier Enkelkinder. Ich komme aus Hückeswagen und bin auch dort geboren und habe dort eine alt eingesessene Bäckerei mit meiner Frau zusammen, die wir seit 1988 zusammen betreiben, übernommen von meinen Eltern. Der Betrieb ist im Familienbesitz seit 1839, also relativ alt schon der Betrieb. 

Und daraus resultiert auch meine Antriebe fürs politische Amt, eben dass ich einfach die Perspektive eines Handwerkers gerne überall mit einbringen möchte, weil es gibt sehr sehr viele Juristen, Lehrer, Funktionäre in den Parlamenten, aber eben Handwerker deutlich zu wenig. Ich bin seit 1994 im Hückeswagener Stadtrat und seitdem auch dort Fraktionsvorsitzender. 

Ich war 2012 und 2013 als Nachrücker für Werner Heuer im deutschen Bundestag. Konnte das Thema Handwerk da anpacken, aber eben bei Weitem nicht zu Ende bringen und da ist mir auch nochmal ganz bewusst geworden, wie wenig Handwerker überhaupt im deutschen Bundestag sind. Es sind keine 10, bei damals 630 Abgeordneten. Heute sind wir bei 700 Abgeordneten und die Handwerker sind nicht mehr geworden.” 

(2) Persönliche politische Schwerpunkte 

Wo sehen Sie Ihre persönlichen politischen Schwerpunkte? (Kurz und knapp)

“Wie eben schon erwähnt in der Handwerkspolitik und da natürlich ganz extrem in der Bürokratisierung. Der gesamte Bürokratiebedarf, den eigentlich die Ämter immer wieder an uns herantragen, wird immer mehr und wir können es kaum noch leisten. Wenn ich alles hundertprozentig erfüllen wollte, dann bräuchte ich fast zwei Vollzeitkräfte, um das zu machen. Das fängt an mit der Bonausgabepflicht, das fängt an mit verschiedenen Pflichten, was man alles notieren muss, dokumentieren muss. Angefangen über Temperaturen, Arbeitszeiten. Es ist so viel Arbeit und es nützt keinem mehr was. Wer kleinere Betriebe erhalten will, muss sie einfach von Bürokratiepflichten entlasten.” 

(3) Kanzler-Kandidaten/-Kandidatinnen

Welchen Kanzler-Kandidaten/-Kandidatin würden Sie bevorzugen und warum?

“Also ich möchte die Frage andersrum beantworten und zwar ich möchte gerne, dass eine Regierung gebildet wird, wo die bürgerlichen Parteien, also CDU und FDP in der Mehrheit sind und wenn eine dritte Partei noch dazukommt, dann würde ich persönlich gerne die SPD dabei haben, die sogenannte Deutschland Koalition und damit wäre dann Armin Laschet der Kanzler. Den würde ich persönlich präferieren. 

Gegen den Kandidaten liegen auch einige Kritikpunkte vor. Welche Kritikpunkte sehen Sie und warum halten Sie den Kandidaten trotzdem für die richtige Wahl? 

Also er hat einige Ungeschicklichkeiten während des Wahlkampfs jetzt gemacht. Ich halte ihn für den richtigen Kandidaten, weil in Nordrhein-Westfalen die Koalition zwischen CDU und FDP läuft hervorragend und was dort auf die Beine gestellt worden ist, ist für das Land sehr gut gewesen. Es sind viele Reformen durchgezogen worden und das wünsch ich mir auch einfach für den Bund.”

(4) Bundeswehreinsätze 

Bundeswehreinsätze werden sowohl im Inneren als auch Außen von vielen scharf kritisiert. In welchen Situationen halten Sie zunächst einmal Außeneinsätze für gerechtfertigt?

“Das ist relativ schwierig, weil Außeneinsätze müssen immer geprüft werden, nicht nur wie kommt man in einen Konflikt rein, sondern wie komme ich aus einem Konflikt auch wieder raus. Gerade das hat jetzt Afghanistan auch wieder gezeigt. Man kann relativ schnell irgendwo die Bundeswehr einsetzen, aber die Frage ist, wie kommt die Bundeswehr da gescheit wieder raus und jetzt hat sich deutlich gezeigt eben, dass das Handeln der Bundesregierung jetzt viel zu spät war, um eben die deutschen Helfer vor Ort und die deutschen Staatsangehörigen aus Afghanistan zu evakuieren. Ich bin bei Auslandseinsätzen sehr sehr zurückhaltend, weil ich denke man sollte das immer vom Ende her denken: Wie komme ich aus diesem Einsatz wieder raus und wie kann ich die Ziele erreichen?” 

In welchen Situationen ist ein Außeneinsatz der Bundeswehr für Sie nicht gerechtfertigt?

“Also ich bin zum Beispiel heilfroh, dass der damalige Außenminister Westerwelle uns aus dem Lybienkonflikt rausgehalten hat. Ich bin auch froh, dass die Bundesregierung unter Schröder uns aus dem Irakkonflikt herausgehalten hat. Es ist immer, ich wiederhole mich jetzt, einfach irgendwo einzutreten, aber Deutschland ist eingebettet in Europäischer Union und man sollte so etwas ganz zurückhaltend angehen. Wir sind eine Mittelmacht und keine Großmacht.”

In welchen Situationen halten Sie Inneneinsätze für gerechtfertigt?

“In absoluten Notsituationen, wie zum Beispiel vor Jahren die Oderflut ist sowas sinnvoll oder jetzt bei der Flutkatastrophe im Ahrtal als auch in Erftstadt, halte ich so etwas für sinnvoll, aber wirklich, das muss die absolute Ausnahme sein.” 

Wie würden Sie einem Machtmissbrauch (auch von künftigen politischen Regierungen) vorbeugen, daher welche Einschränkungen würden Sie einem Einsatz im Inneren auferlegen?

“Dass dann im Vorfeld vom Bundestag, also das ganz wichtig, im Vorfeld vom Bundestag auch entsprechende Beschlüsse gefasst werden müssen. Der oberste Souverän ist eben der deutsche Bundestag, nach dem deutschen Volk, aber das deutsche Volk wählt ja eben den deutschen Bundestag und deswegen muss der in meinen Augen immer gefragt werden.”

(5) Nebeneinkünfte

Sehen Sie eine Notwendigkeit stärker gegen Nebeneinkünfte von Abgeordneten vorzugehen?

“Das habe ich in meinen zwei Jahren festgestellt, was teilweise als Nebeneinkünften deklariert wird. Kann man fragen, ob das wirklich Nebeneinkünfte sind. Ich musste zum Beispiel angeben, wenn meine Bäckerei einen Großkunden hatte und ich dem jeden Monat für 5000 Euro Ware liefere, dann sind die 5000 Euro Nebeneinkünfte. Aber ich muss da auch noch meine Mitarbeiter bezahlen, ich muss das Material bezahlen. Deswegen frage ich manchmal, wieso muss man sowas angeben? 

Es hat für mich den schalen Beigeschmack, wenn man so etwas angeben muss, dass, nehmen wir mal einfach ein Beispiel, man beliefert ein Krankenhaus und dann steht da drin, man hat im Jahr für 50.000 Euro geliefert. Dann guckt sich der backende Mitbewerber das an und, aha, er weiß, welche Mengen geliefert werden und kann dann relativ einfach runterrechnen, welche Preise er haben muss, um den anderen rauszuboxen. Also da muss man ganz vorsichtig sein. Wenn Nebeneinkünfte so weiter definiert werden, dann halte ich sie für schlecht, weil damit verhindert man, dass Selbstständige überhaupt nochmal wieder ins Parlament gehen können ohne ihre Existenz aufs Spiel zu setzen. 

Deswegen, man kann sie offen legen, aber ich hab zum Beispiel das damals so hingekriegt, ich hatte mit den entsprechenden Stellen gesprochen und hab denen das auch erklärt und die Zahl lag an diesen Stellen vor, wurden aber nicht öffentlich gemacht, eben dass kein Dritter da drauf zugreifen konnte, um mir betrieblich zu schaden. Das geht, aber wie gesagt nicht, dass es nachher zu einem Nachteil gereicht. Grundsätzlich habe ich kein Problem damit, dass man einem Abgeordneten sagen muss, woher sein Geld kommt. Wenn er einen Lobbyvertrag hat, da muss sicherlich klar sein, woher das Geld kommt. Aber wie gesagt, wenn er einen Betrieb hat, dann wird es schwieriger. “

Wie beurteilen Sie die Gefahr von Korruption und wie würden Sie dagegen vorgehen (ohne den Begriff „Transparenz“ zu nutzen)?

“Wenn die Einkünfte aus Lobbytätigkeiten oder Funktionärstätigkeiten offen gelegt werden, ist ja die Offenheit da, um klar zu machen, dass man da eben kein Schindluder mit treibt oder dass man erpressbar wird. Und wenn die Dinge, die ich eben geschildert hatte, also Lieferverträge, bei dem Bundestagspräsidium liegen, dann sind sie auch aktenkundig, nur eben der Mitbewerber kann sie nicht nutzen und dagegen kann man dann, in meinen Augen, auch nichts mehr sagen, weil damit ist dann die Offenheit da und ist dann zumindestens erstmal eine erste Brandmauer gegen eine mögliche Korruption gesetzt.”  

(6) Spaltung der Gesellschaft

In den letzten Jahren wurde häufig von einer “Spaltung der Gesellschaft” gesprochen.
Sehen Sie eine zunehmende Spaltung in der Gesellschaft?

“Ja, ich sehe die auch. Die Gesellschaft driftet immer weiter auseinander. Ich glaube, in vielen Bereichen ist es einfach dem Problem geschuldet, dass auch die Bildung immer weiter auseinander geht und da müssen wir eingreifen, eben dass alle eine hervorragende Bildung bekommen, um dann eben die Gesellschaft wieder zusammenzuführen. 

Bildung ist bei mir nicht nur Schule, sondern auch im Beruf, berufliche Ausbildung, das liegt mir auch ganz persönlich am Herzen, dass eben auch dieses Bild, was bei manchen noch im Kopf ist, dass eine berufliche Ausbildung nicht so viel wert ist wie eine universitäre Ausbildung. Da müssen wir auch dran und wenn wir das schaffen, dann hat auch der Facharbeiter, der eine Abteilung leitet in einer Firma, den gleichen Respekt wie jemand, der einen Bachelor Studiengang absolviert hat. Ich glaube das ist der Weg über Bildung, dass wir die Gesellschaft wieder enger zusammenführen können.”

Wo sehen Sie die Gründe für eine solche Spaltung? (Frage bereits zum Teil beantwortet, Möglichkeit zu ergänzen)

“Gerade erläutert eben in dem Auseinanderdriften der Bildungschancen, die wir haben und da ist ja gerade hier im Land NRW interessante Initiativen über die Talentschulen gewesen, dass gerade in schwierigen Stadtteilen/Städten besondere Schulen installiert werden, wo dann eben alle eine vernünftige Aus- und Weiterbildung bekommen können und wie gesagt, das ist der Weg und eben, gerade im Nebensatz noch gesagt, Weiterbildung, dass man auch während seines Berufslebens sich immer wieder weiterbildet. Das ist glaub ich das A und O. Wir werden immer mehr zu einer Wissensgesellschaft und dann ist immer derjenige ausgegrenzt, der weniger weiß.”

(7) Wirtschafts-/Finanzpolitik

Eine Schlagzeile in bundesweiten Medien machte die Steigung der Inflationsrate auf 3,8% – den höchsten Stand seit 13 Jahren (EZB-Ziel: Knapp unter 2%). Halten Sie die steigende Inflationsrate für bedenklich / gefährlich? 

“Zum jetzigen Zeitpunkt halte ich sie noch nicht für gefährlich. Gefährlicher ist in meinen Augen eher diese anhaltende Zinspolitik der Europäischen Zentralbank und der amerikanischen Zentralbank. Das wird ein riesiges Problem werden. Gerade für viele mit ihrer Altersvorsorge. Es gibt jetzt genügend Banken, die mittlerweile Negativzinsen nehmen, wenn man ein gewisses Geldvermögen hat und das ist kein riesen Vermögen, teilweise ab 50.000 Euro. Klar, wenn man sie nicht hat, sind 50.000 Euro viel, aber wenn man nachher davon leben will, dann sind 50.000 Euro relativ schnell dann auch verbraucht. Da sehe ich die größeren Gefahren, dass es für einige sehr sehr schwierig wird, weil man eine andere Form der Altersvorsorge gewählt hat.” 

Welche Maßnahmen könnte die Politik in Deutschland in diesem Zusammenhang sinnvoll ergreifen?

“Also solide Haushalte sind das A und O. Schuldenbremse, um das nochmal klar zu machen, heißt ja nicht überhaupt keine Schulden, sondern nur in einem gewissen Rahmen darf man Schulden machen. Und wir müssen irgendwann diesen Schuldenrahmen auch wieder einhalten können, weil wir werden ja nicht mehr und wir können ja den nachfolgenden Generationen nicht einen immer größer werdenden Schuldenberg aufhalsen. 

Und was auch zum Schuldenberg gehört sind die Rentenverpflichtungen, die wir eingegangen sind. Ich denke mal, ganz platt gesprochen: Für mich wird es wahrscheinlich noch reichen, bei Ihnen wirds kritisch. Ne, also, da müssen wir dann auch dran, das ist ja auch ne Form von Schulden. Dass wir da eben rankommen, um da Lösungen zu finden wie man das machen kann ohne jetzt noch in die Rentenpolitikkiste… Kann man vielleicht nachher noch machen.” 

Wie wollen Sie die EZB dabei unterstützen die Preisstabilität aufrecht zu erhalten?

“Ist im Endeffekt die gleiche Antwort. Also ein Staat, der vernünftig wirtschaftet, gibt einer EZB überhaupt keinen Grund besonders die Schreckensszenarien aus der Geldmarktpolitik weiter zu betreiben. Die EZB muss irgendwann auch mal wieder in einen Bereich kommen, wo man fürs Geld leihen auch bezahlen muss. Im Augenblick können ja teilweise die Kommunen Kredite aufnehmen und kriegen Geld dafür. Das ist ja ein Widersinn. Es passiert. Also ich hab das in Hückeswagen gesehen, ich nehme an, das ist in Bergneustadt genauso. Und wie gesagt, das kann auf Dauer nicht gut gehen, da müssen wir ran.” 

Im Streit um Nordstream 2 oder Frackinggas aus den USA wird inzwischen sogar vom “kalten Gaskrieg” gesprochen (SPIEGEL). Auch umweltpolitische Aspekte spielen in der Diskussion eine Rolle. Noch ist Deutschland auf Gas-Importe angewiesen. Wie beurteilen Sie die Fertigstellung der neuen Pipeline?

“Also, die Pipeline ist so weit fertig, dass man sie auch jetzt fertig bauen sollte. Es gibt ja auch jetzt die Einigung mit den USA, wie man das machen soll und dass ebenso die Transitländer, als Beispiel die Ukraine, nicht benachteiligt werden. Das ist A und O und es wird, da machen wir uns auch nichts vor, Gas wird ja nur noch eine gewisse Zeit eine große Rolle spielen. Wir wollen ja alle weg von den fossilen Brennstoffen. Das wird sich dann auch irgendwo erledigen. 

Was in den USA befürchtet worden ist, dass man sich von Russland abhängig macht, Energieversorgung, das sehe ich nicht so. Dann ist man genauso gut von anderen Ländern abhängig und Frackinggas ist sicherlich umweltpolitisch auch nicht besser als das russische Erdgas. Also mittelfristig werden wir von den fossilen Brennstoffen weggehen und dann erübrigt sich das dann auch relativ schnell.”

(8) Umweltpolitik 

Welche Umweltpolitischen Maßnahmen halten Sie für sinnvoll und effektiv? 

“Also, wir müssen in den nächsten Jahren die Decarbonisierungen, also sprich weg von CO2, vorantreiben. Und wir werden das nur relativ schnell schaffen, wenn wir das technologieoffen gestalten. Also im Moment ist es ja so, dass alles jetzt, was Mobilität angeht, alles nur auf Elektromobilität angeht. Da werden wir unsere Probleme nicht mit lösen. Einmal, das bemängele ich persönlich bei der Elektromobilität, verlagern wir zum Teil auch unsere Probleme in Entwicklungsländer, wo die seltenen Erden gewonnen werden. Da gehen teilweise ganze Landstriche, siehe Chile, vor die Hunde, weil sie trocken gelegt werden für diese Becken, wo dann eben die selten Erden gewonnen werden. Oder eben in Afrika, genau das Gleiche, mit Arbeitsbedingungen wo wir in Deutschland glaub ich gar nicht von reden wollen – so schlecht wie die da sind. 

Und das Nächste ist, das hat Harald Lesch mal vorgerechnet, wenn irgendwann mal Abends eine Millionen Elektromobile gleichzeitig geladen werden müssten, dann müsste das Netz circa 350 Gigawatt zur Verfügung stellen, an Leistung. Das gesamte deutsche Stromnetz kann jetzt 68 Gigawatt zur Verfügung stellen. Also wir müssen es ja ungefähr verfünffachen, für die Elektromobilität. Und das werden wir nicht hinkriegen, also müssen auch alternative Mobilitätsmöglichkeiten geben. Elektromobilität wird ein Baustein sein, aber nicht der alleinige. 

Also ich stelle mir zum Beispiel vor, dass man die Wasserstofftechnologie deutlich weiter vorantreiben muss, dass wir auch die künstlichen Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien weiter vorantreiben. Und dann können wir ja auch unsere alten Fahrzeuge erstmal weiter benutzen. Es macht ja auch wenig Sinn, wenn hier in Deutschland viele Elektromobile sind und unsere Altfahrzeuge werden nach Afrika verkauft, das ist ja leider im Augenblick so, und werden dort weiter betrieben. Habe ich ja keinen Gewinn für die Umwelt, für CO2. Das ist also ein Punkt, wo wir eben weiterkommen, wenn wir das technologieoffen gestalten. Und als freier Demokrat setzt man eben auch darauf, dass man eben die Ideen der vielen nutzen sollte. Und ich glaube, das ist ein guter Weg, um einige neue Gedanken auch reinzubringen und dann was zu erreichen.” 

Für wie effektiv halten Sie die CO2-Steuer insgesamt? An welchen Stellen würden Sie nachbessern wollen?

“Also ich stelle mir vor, dass man also bei der CO2-Abgabe folgendes erreicht: Es muss mindestens europäisch geregelt sein und zwar stellen wir uns vor, dass man ein Kontingent hat. Ich nenne jetzt einfach mal 100 Einheiten für das nächste Jahr. Dann wird das jedes Jahr weniger und jedes Unternehmen, was CO2 emittiert, muss eben diese Zertifikate kaufen und wenn es weniger werden, werden die automatisch teurer. Damit werden die Unternehmen automatisch ermuntert in neue Technologien zu investieren, um Geld zu sparen. 

Und wenn, die Technologie gibt es ja auch, man CO2 speichern kann, dann muss das Unternehmen dafür auch Geld kriegen, um eben CO2 aus der Luft zu ziehen und da in irgendwelche Speicher zu packen. Das wird der Weg sein und eben, wenn ich das über den Markt mache, wenn es relativ deutlich wird, dass CO2 absehbar immer teurer wird, also die Verursachung von CO2, dann weiß jeder: Aha, ich muss was tun – und die Firmen werden was tun, ganz schnell.”

Ein wichtiges Thema im Oberbergischen ist der Wald. In vielen Fällen wird Forst auch als Investition zur Aufbesserung der Rente gekauft. In den letzten Jahren hat der Wald (unter anderem durch den Anbau von Monokulturen) jedoch stark gelitten, z.B. unter dem Borkenkäfer.
Sehen Sie in diesem Sinne einen Unterstützungsbedarf in der Forstwirtschaft? 

“Ja, also ich denke viele Forstbetriebe stehen auch jetzt durch den Borkenkäfer mit dem Rücken an der Wand und so gesehen ist der Borkenkäfer ja schon fast eine Naturkatastrophe, zumindestens für die betroffenen Waldwirte und wir müssen in irgendeiner Form helfen, aber wir dürfen ihnen nicht vorschreiben, was sie pflanzen. Wir haben in Hückeswagen letztes Jahr einen Waldspaziergang gemacht mit dem dort ansässigen Waldbesitzer und der hat genaue Vorstellungen, wie er den Wald gestaltet. Also welche Arten er pflanzt, er will keine Monokulturen. Er sagt nur: >Politik soll mir nicht vorschreiben, welche Bäume ich auf meinem Boden pflanzen kann, das weiß ich besser<. Also genauso wie ich mir von der Politik nicht vorschreiben lasse, wie ich ein Brot backe, soll man ihm nicht vorschreiben, wie er seinen Wald hegt und pflegt. 

Gerade Waldbesitzer denken in Generationen und haben dann auch schon Nachhaltigkeit wirklich von Natur aus in den Genen. Und die jetzigen großen Flächen, die ja durch den Borkenkäfer kahlgefressen sind, die müssen so schnell wie möglich aufgeforstet werden und zwar auch mit Bäumen, die auch den anderen Klimabedingungen standhalten können. Und da weiß wieder der Forstwirt Bescheid, nicht unbedingt derjenige, der im Bundestag sitzt.”

Sehen Sie einen Regulierungsbedarf für die Aufforstung in Hinsicht auf Monokulturen oder Baumarten? (Frage bereits zum Teil beantwortet, Möglichkeit zu ergänzen)

“Nein, ganz klar nein und ich vertraue da wie in vielen Bereichen einfach auf den Sachverstand der Waldbesitzer, der Forstleute und die wissen schon, was sie tun.”

Verschiedene Tierhaltungsformen stehen stark in der Kritik, doch Änderungen stellen sich bisher eher schleichend ein. Wen sehen Sie in der Verantwortung etwas daran zu ändern? 

“Alle, im Endeffekt alle. Angefangen beim Verbraucher, der selber entscheidet erstmal: Was kaufe ich für Fleisch? Ich sage es mal überspitzt: Wenn ich irgendwo ein Kilo Rindfleisch für ein paar Euro nur kaufe, dann weiß ich, das ist nicht artgerecht. Und natürlich auch den Erzeuger des Fleisches, also der Landwirt, der ist natürlich auch mit in der Verantwortung und auch der Weiterverarbeiter, der Metzger. 

Und da sind wir dann auch wieder dabei: Wenn ich zu viel reguliere, kriege ich nachher Dinge, die ich nicht haben will. Also ich weiß noch aus meinen Kinderzeiten, ist wohlgemerkt schon ein paar Tage her, dass jede Metzgerei noch geschlachtet hat. Dann wurden über die Jahre die Anforderungen immer größer und man musste immer mehr erfüllen, um noch schlachten zu dürfen. Danach hat dann ein Metzger nach dem anderen gesagt: >Dann tu ich nicht mehr<. Vor Ort wird kaum noch geschlachtet, dafür haben wir jetzt Tönnies. Und ich behaupte einfach mal, das ist weder für die Menschen, die dort arbeiten gut, noch ist es gut für die Tiere. Also da haben gut gemeinte Bürokratieanforderungen oder Hygieneanforderungen nachher das Gegenteil bewirkt. 

Also muss man da auch mal vorsichtig sein und sagen: Wir müssen den Menschen und den Betrieben auch mal Freiraum lassen zum Atmen. Und wie gesagt, ich persönlich halte es für sehr schwierig, wenn bei Tönnies ich weiß nicht wie viele Tausend Schweine am Tag geschlachtet werden. Das ist für die Tiere mehr als Stress, wenn die da in riesen Zügen ankommen, womöglich noch durch halb Europa gefahren sind. Da ist natürlich etwas, wenn wir das wieder zurückholen in die Regionalität, wo wir dann viel erreichen können.”

(9) Umwelt-/Verkehrspolitik

Ein beliebtes Thema in fast jeder Wahl der letzten Jahre ist das Tempolimit. Welches Tempolimit halten Sie für sinnvoll und umsetzbar und warum?

“Also es geht ja hier um Autobahnen. Ich halte von dem Tempolimit nichts, weil es ist wieder ein Eingriff und die Umweltverbesserung, die ich durch ein Tempolimit erreiche, ist so gering. Das lohnt also den Aufwand überhaupt nicht. Wir haben vielleicht noch 40 Prozent der Autobahn, wo man schneller fahren könnte, wenn der Verkehr es zuließe, also ist das eine reine Scheindiskussion, die da geführt wird. Die bringt uns im Endeffekt nicht mehr weiter. 

Die Umweltverbesserung kriege ich an anderer Stelle, aber nicht beim Tempolimit. Ob jetzt 120, 130, 140 oder da gibt es ja die dollsten Überlegungen. Und viele Elektroautos sind ja automatisch schon bei 160 abgeriegelt, weil sonst die Batterie zu schnell leer wird.”

Auch Dieselfahrverbote sind immer wieder im Gespräch. Was ist Ihre Meinung dazu?

“Da geht es ja immer wieder um den Feinstaub. Und jetzt hat man festgestellt, dass, auch wenn nur Elektroautos fahren, der Feinstaub genauso hoch ist, weil viel Feinstaub kommt von den Reifen und der ist ja bei allen Autos irgendwo gleich. Deswegen bringt ein Dieselfahrverbot nicht viel. 

Das beste Beispiel war für mich Oldenburg in Oldenburg. Da waren an einigen Tagen dann die Messwerte deutlich zu hoch von dem Feinstaubgehalt – nur Problem war, die gesamte Innenstadt war wegen eines Marathons für Autoverkehr gesperrt. Da sind man dann also auch, wie schwierig es ist, solche Messwerte überhaupt zu bewerten. Deswegen, also Dieselfahrverbote sind nicht zielführend.”

Der Verbrennerausstieg ist stark umstritten. Ist ein Verbot Ihrer Ansicht nach zielführend?

“Der Verbrennermotor als solcher ist nicht das Problem, sondern die Kraftstoffe, die ich reinbringe und wenn ich erneuerbare Kraftstoffe auch reinbringe, habe ich das CO2-Problem gelöst. Wir haben ja in Zeiten viel zu viel Strom, wo ich dann mit diesem Strom eben diese erneuerbaren Kraftstoffe produzieren kann. Das ist also einfach eine Art von Speicher auch und das in Kombination mit Elektromobilität als auch Wasserstofftechnik, bringt uns dann in der Mobilität weiter, um auch gleichzeitig mittelfristig unseren CO2-Ausstieg auf Null runter zu bringen.”

(10) Coronapolitik 

Wie zufrieden sind Sie mit den derzeitigen Corona-politischen Maßnahmen und was würden Sie verbessern (ausgenommen der Impfstrategie)?

“Man muss das, glaube ich, im Zeitstrahl mal uns hier angucken. Das war vor gut einem Jahr eine komplett neue Situation, hatten wir vorher noch nicht und da gestehe ich jedem zu, egal wem, dass man am Anfang auch Fehler macht. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass die Lernkurve steiler gewesen wäre. Sie war in vielen Bereichen einfach zu flach. Was nicht mehr nachzuvollziehen ist, sind bestimmte Regelungen, die lange Zeit galten, dass zum Beispiel ein Gastwirt im Außenbereich, so wie wir jetzt hier sitzen, keinen Gast bewirten konnte, obwohl klar war, das sagt jeder Virologe, dass die Ansteckungsgefahr draußen gen Null geht. 

Das ist so ein Punkt, wo man sicherlich ganz schnell auch jetzt wieder machen müsste. Die Gastwirte haben Hygienekonzepte aufgestellt, die wirklich gut waren. Die Ansteckungsgefahr war deutlich reduziert. Aber man hat ihnen praktisch ein Bewirtungsverbot auferlegt, man durfte ja seinen Beruf nicht mehr ausüben. Das ist alles sehr, sehr schwierig und heute kaum noch den Menschen zu vermitteln. 

Wir müssen in den Bereichen handlungsfähig werden, um zum Beispiel, was ja noch keiner weiß, wir müssen, wenn es denn nachher so kommt, vielleicht eine dritte Impfung, dass die dann auch wirklich parat steht, dass man dann eben auch wirklich die dritte Impfung hat, dass flächendeckend sofort geimpft wird und ich denke, es sollte mal auch ganz jetzt klar sein: Wie hoch ist denn jetzt wirklich die Impfrate? Weil, es gibt ja jetzt schon Statistiken, die sagen: >Die ist deutlich höher als das RKI sagt< und das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Das RKI sagt 56 Prozent und andere sagen 75 Prozent, das ist ja schon ein gewaltiger Unterschied. Da muss erstmal rangegangen werden. 

Wir werden auch durch hundertprozentige Impfung keine hundertprozentige Ansteckung verhindern können, aber die Verläufe sind deutlich milder und das war ja auch der Grund, weshalb man diese harten Corona-Maßnahmen durchgeführt hat, eben weil die Intensivstationen überlaufen waren, die gesamten Pflegebereiche waren total überlastet. Das konnte keiner mehr händeln. 

Aber jetzt ist es ja so, auch wenn sich Menschen infizieren – das ist nicht schön, klar, keiner will infiziert werden – aber das ist händelbar. Und jetzt nochmal, was einige jetzt schon gesagt haben, ein Lockdown? Nein, das geht überhaupt nicht mehr. Weil dann werden viele es finanziell nicht mehr überleben können. Und was wir unseren Schülern mit einem erneuten Distanzunterricht antun, wir haben ja eben schonmal über Bildung gesprochen, dann wird die Schere in der Gesellschaft wieder noch weiter aufgehen, was wir auf keinen Fall wollen. 

Also ich habe auch nicht das Patentrezept, will ich auch gar nicht hier sagen, aber man muss jetzt nicht mehr alles verbieten. Man muss die GGG Regeln befolgen und ich glaube, dann ist das Risiko abschätzbar. Und es wird ja keiner gezwungen dann, wenn ihm nicht danach ist, in ein Restaurant zu gehen. Aber was ich auch nie verstanden habe, ist zum Beispiel: Dann wurde ein normales Einzelhandelsgeschäft, wo dann zwei, drei Kunden sind, gerade hier in Bergneustadt, bei uns, wo zwei Kunden im Laden sind vom Textilgeschäft von 200, 300 Quadratmeter Fläche, das musste schließen, aber der Supermarkt, wo sich dann nacher 30 Mann an der Kasse knubbeln, das war erlaubt. Also, das war so ein Widersinn. 

Und in solch einen Widersinn darf man nicht nochmal reingehen. Weder für diejenigen, die es betriebswirtschaftlich betrifft, noch für den Menschen, der auch nicht mehr einkaufen kann. Es kann ja nicht sein, dass nachher am Ende der Coronakrise Amazon der große Gewinner ist und unsere Innenstädte öd und leer.”

Sollte eine generelle Impfpflicht eingeführt werden? 

“Nein. Ganz klar nein. Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er geimpft werden will oder nicht. Er muss natürlich, wenn er entscheidet >Nein<, dann muss er natürlich auch entsprechende Testungen machen und ich denke auch irgendwann, ich würde das noch nicht im Oktober machen, aber irgendwann müssen die Testpflichten von dem selber bezahlt werden. 

Also das wird irgendwann kommen, wie gesagt, ich würde es noch nicht im Oktober machen, sondern wahrscheinlich nach meiner persönlichen Vorstellung so irgendwann Anfang nächsten Jahres, aber dann kann auch jeder nach reiflicher Überlegung für sich entschieden haben, aber wie gesagt: Zwingen würde ich keinen.”

Welche Maßnahmen würden Sie zur weiteren Eindämmung der Pandemie für sinnvoller erachten?

“Wie gesagt, die GGG Regeln: Getestet, Geimpft und Genesen. Das ist glaube ich das wichtigste erstmal und im Innenbereich auch weiterhin in vielen Bereichen die Maske, auch wenn wir sie inzwischen nicht mehr gern tragen, aber halte ich immer noch in bestimmten Bereichen, wo es eng wird. Aber grundsätzlich muss auch die Maske irgendwann mal fallen. Wo man also sicher sein kann, wie in einem normalen Einzelhandelsgeschäft, da brauche ich keine Maske, wenn nur drei Leute im Laden sind. Dann kann ich 1,50 Meter einhalten. Beim Supermarkt an der Kasse ist das natürlich wieder kritisch.”

Was würden Sie einer Person antworten, die die Sicherheit von Corona-Impfstoffen anzweifelt?

“Also ich kann nur sagen: Ich bin geimpft und jede Impfung ist immer mit einem Risiko verbunden, genauso wie jedes Medikament immer mit einem Risiko verbunden ist, sei es die besagte Kopfschmerztablette und deshalb bin ich auch gegen die Impfpflicht. Jeder muss das Risiko für sich abwägen: Was will ich? 

Wie gesagt, ich habe mich schnell dafür entschieden, dass ich geimpft werden wollte. Meine Kinder sind auch alle geimpft, Enkelkinder noch nicht, die sind noch zu klein dafür. Die sind zwei und fünf Jahre alt, jeweils zweimal zwei und zweimal fünf Jahre alt. Aber auch Kinder, Schwiegerkinder, alle sind durchgeimpft und die haben das auch wirklich nicht sich leicht gemacht. Die haben dann überlegt: >Was mache ich?< Und sind alle zu dem gleichen Ergebnis gekommen: >Wir lassen uns impfen. Risiko ist da, wie immer. Das ganze Leben ist voller Risiko, aber das Risiko ist abschätzbar und wir haben eben für uns entschieden, wir können es abschätzen und wir lassen uns impfen<. 

Also ich habe so gesehen auch für meine Mutter, die ist mittlerweile 93, die Entscheidung – ich habe sie gefragt und sie hat gesagt: >Ja, wenn du meinst, dann mache ich das<, das ist einfach so in dem Alter. Die Entscheidung haben wir dann auch getroffen, meine Schwester und ich zusammen, dass eben die Mutter geimpft wird und sie hat es hervorragend vertragen. Keine Nebenwirkungen.”

(11) Corona und Wirtschaft

Im Verlauf der Pandemie gab es wirtschaftlich Gewinner und Verlierer. An vielen Stellen musste auch der Staat finanzielle Hilfe leisten (Soforthilfe).
Wie würden Sie die finanziellen Hilfen in Zukunft organisieren?

“Also die Hilfen am Anfang waren sehr gut, jetzt im Rückblick betrachtet. Auch die November- und Dezemberhilfen letzten Jahres waren gut. Und wenn ich dann jetzt mal kurz ins Bäckerhandwerk gehe: Jetzt die Hilfen für dieses Jahr waren für das Bäckerhandwerk nicht gut, weil man musste mindestens 30 Prozent Umsatzverlust haben, damit man an den Übergangshilfen teilhaben konnte. 

Die Bäcker haben im Schnitt 25 Prozent Umsatzverlust. Die Betriebsergebnisse gehen reihenweise ins Negative und zwar bei allen Betrieben, die einen relativ hohen Gastroanteil haben, also Cafes dabei. Die kriegen keinerlei Hilfe vom Staat und das halte ich für sehr schwierig. Also jetzt ist die Situation besser geworden, aber wir sind immer noch nicht auf dem Vorkrisenniveau, weil man darf natürlich auch noch nicht so viele Menschen in die Gaststätten reinlassen, man muss die Abstände einhalten, haben wir ja eben schonmal drüber gesprochen, und das hinterlässt noch bösartige Spuren bei den Bilanzen. 

Wie man Hilfen organisieren kann: Im Endeffekt, was für mich ein ganz wichtiger Schritt wäre, wäre ein Verlustrücktrag, dass ich, wenn ich durch Corona Verluste mache, dass ich das mit dem Gewinn von den Jahren zuvor verrechnen kann. Da kann ich Steuern zurückbekommen. Das würde den Betrieben helfen und das wäre für mich mal ein Schritt, das zu machen. Man kann auch jetzt im Gastrobereich, ist ja bis Ende 2022 der reduzierte Mehrwertsteuersatz auf Speisen weiterhin da. Da muss man überlegen: Wie gehe ich da weiter mit um? Hat sich Ende 2022 der ganze Gastronomiebereich erholt oder noch nicht? Aber wie gesagt, das muss man dann entscheiden, wenn es soweit ist. 

Und da muss ich jetzt einen Schwenk noch machen, da kommen wir dann nämlich auch zu etwas, was ich persönlich als wirklich Irrsinn ansehe: Wenn Sie in den Supermarkt gehen und kaufen Kaffee, egal ob Pulver oder in Bohnen, zahlen Sie 7 Prozent Mehrwertsteuer. Wenn jetzt in einem Cafe da Wasser drauf geschüttet wird, sprich, da wird ein Kaffee zubereitet, dann ist das 19 Prozent Mehrwertsteuer. Wenn aber das ein Milchkaffee ist mit 75 Prozent Milchanteil, da sind es wieder 7 Prozent. Aber bei einem Kakao, wo ja auch Hauptbestandteil Milch ist, da sind es immer 19 Prozent. Das kann mir keiner mehr erklären, was das soll. Also dass man da auch mal in dem Zuge dann eine vernünftige Steuerreform macht. Den Ausflug musste ich gerade machen.”

Wie sollen diese Maßnahmen langfristig finanziert werden?

“Also um ganz klar zu sagen: Langfristig wir der Staat nicht ganze Wirtschaftszweige unterstützen können. Das geht auf Dauer nicht. Wir müssen dann Lösungen finden, dass die Wirtschaftszweige arbeiten können. Die Coronahilfen, die waren ja teuer genug jetzt im letzten Jahr und auch dieses Jahr. Die werden wir mittelfristig zurückzahlen müssen, klar. Und alles, was jetzt an mehr Steuereinnahmen ist, muss da rein fließen, in diese Rückzahlung – also Turborückzahlung – und keine neuen Ausgaben. 

Deswegen also: Neue Ausgabenprogramme auch zur dauerhaften Unterstützung von Wirtschaftszweigen kann es nicht geben. Wir müssen andere Lösungen finden als ganze Wirtschaftszweige immer zu unterstützen. Weil, da überfordern wir uns. Ich glaube, 400 Milliarden Euro sind bis jetzt an Coronahilfen gezahlt worden. Das kann man natürlich nicht jahrelang weiterführen. Das geht irgendwann nicht mehr. Und da muss man ehrlich zu sich selber sein und sagen: Wir müssen andere Lösungen finden und eben da Öffnungsschritte, wie die Menschen wieder von ihrem Betrieb leben können und auch die Mitarbeiter, das ist ja auch ganz wichtig.”

Haben Sie eine Position zu den Änderungen des Insolvenzrechts im Zuge des Infektionsschutzgesetzes?

“Ja, ich habe da eine etwas gespaltene Meinung, da bin ich ehrlich genug. Auf der einen Seite ist es gut, dass Betriebe nicht sofort in Insolvenz gehen müssen, weil Corona sie so gebeutelt hat. Auf der anderen Seite besteht immer die Gefahr der Infektion. Das heißt, wenn Betriebe nicht mehr die Insolvenz anzeigen müssen, kann es sein, dass sie dann Lieferantenschulden aufbauen und dadurch dann auch die Lieferanten in Schwierigkeiten bringt. 

Deswegen muss man genau abwägen: Also es kann nicht sein, dass das Insolvenzrecht immer weiter – ja, man nennt es Verwässerung, wenn es immer weiter verlängert wird. Irgendwann muss da ein Punkt kommen, wo man sagt: >So. Jetzt muss eben das normale Insolvenzrecht wieder gelten<, einfach damit man sich als Lieferant auch drauf verlassen kann, dass mein Gegenüber, dem ich Ware liefere, auch die Ware bezahlen kann. Was nützt mir das, wenn ich irgendwo hin liefere und irgendwie nach zwei, drei Monaten habe ich einen dicken Betrag in den Sand gesetzt und ich kriege mein Geld nicht.”

(12) Flüchtlingspolitik 

Die Flüchtlingspolitik ist seit mehreren Jahren ein umstrittenes Thema in Deutschland. Wo würden Sie sich in dieser Hinsicht positionieren und wie zufrieden sind Sie mit den derzeitigen politischen Maßnahmen der Bundesregierung im In- und Ausland? 

“Flüchtlingspolitik, ich will das etwas weiter fassen noch auch in Einwanderungspolitik. Also einmal, wer Schutz braucht, muss bei uns Schutz bekommen können, ist für mich ganz klar. 

Wenn aber zum Beispiel in einem Land der Schutz für den Flüchtenden auch gewährt sein kann, dann muss er wieder zurück, der- oder diejenige muss dann wieder in sein Heimatland zurück, wenn der Krieg vorbei ist. Wenn das zum Beispiel mal irgendwann in Syrien passiert, dann müssen die Menschen auch wieder zurück in ihr Heimatland, um dort auch es aufzubauen, ganz wichtig. 

Gleichzeitig kann derjenige, wenn er besonders integriert ist, hier aber auch einen Einwanderungsantrag stellen. Und zwar nach einem Punktesystem, wie es in den Nordamerikanischen Ländern, in Australien der Fall ist. Wenn man besonders gut integriert ist, wenn man seinen Lebensunterhalt selber erwirtschaften kann, wenn man die deutsche Sprache beherrscht, kann man hier gerne bleiben. 

Wie gesagt, Schutz erstmal jeder, der Schutz braucht, muss den auch hier finden und dann brauchen wir ein modernes Einwanderungsrecht, dass wir eben dann die Menschen, die hierhin kommen wollen und wir bewerten es ganz einfach nach einem Punktesystem wie in Kanada, wie in den USA, Australien, um dann zu gucken: Könnt ihr hier leben oder schafft ihr es nicht? Wir tun den Menschen ja auch keinen Gefallen, wenn die nachher hier leben und auch nie wirtschaftlich auf die Beine kommen. 

Und ich glaube einfach, und deshalb ist das für mich auch ganz wichtig, dass die Menschen, die vor einem Terrorregime flüchten, die Asylbewerber, die brauchen unseren Schutz und ich finde das auch, wir sitzen hier auch an einem Pfarrhaus, unsere christliche Pflicht, solchen Menschen auch zu helfen. Wie gesagt: Solange die Gefahr besteht, müssen wir ihnen helfen. Danach müssen sie dann auch wieder in ihr Heimatland zurück, um da das Land mit aufzubauen.”

Nachfrage: Jetzt war vieles auf das Inland bezogen. Wie zufrieden sind Sie mit den derzeitigen politischen maßnahmen der Bundesregierung im Ausland bezüglich der Flüchtlingspolitik?

“Der beste Weg ist natürlich, dass man Menschen durch Hilfen in ihren Heimatländern überhaupt davon abhält, nach Europa zu kommen. Aber das ist ein sehr schwieriges Unterfangen. Jeder, der nicht, als Beispiel, über das Mittelmeer flüchtet, ist für ihn persönlich gut, weil es ist ja eine Reise wirklich mit hoher Lebensgefahr. Und es ist auch für die Mittelmeeranrainerstaaten einfach gut. 

Und machen wir uns nichts vor: Flüchtlingswellen sind kaum vernünftig zu händeln. Deswegen müssen die Wirtschaften in den einzelnen Staaten gestärkt werden, um dann eben die Menschen dort in Arbeit und Brot zu kriegen, um sie von einer Flucht aus wirtschaftlichen Gründen nach Europa abzuhalten. Wie gesagt, aber das ist auch ein schwieriges Unterfangen und da wird sich jede Bundesregierung, egal von welcher Couleur sie kommt, sehr schwer tun, das umzusetzen, weil das geht nur im europäischen Konzert und das wird schon schwierig genug.”

(13) Ergänzung

Selbstverständlich können wir in einem Dreiseitigen Fragebogen nicht alle Themenbereiche abdecken. Gibt es ein noch nicht genanntes Thema, das Sie genauer ausführen möchten? 

“Die allgemeine Belastung der Menschen, der Betriebe, einmal in finanzieller Hinsicht, muss deutlich reduziert werden. Wir müssen Bagatellsteuern abschaffen, weil sie binden recht viel Kraft und Potential bei den Steuerbehörden – Kaffeesteuer, Salzsteuer, diese unterschiedlichen Salzsteuern, Streusalz und normales Salz, Teesteuer gibt ist – die können alle im Endeffekt abgeschafft werden, weil das Aufkommen ist nicht so doll, dass der Staat da wirklich drauf angewiesen ist. Würde aber dann freisetzen, dass man eben an anderer Stelle das Personal einsetzen könnte. 

Und genauso, wie ich möchte, dass der normale Bürger nicht so schnell in einen Spitzensteuersatz kommt, möchte ich aber auch, dass große Konzerne wie Starbucks, Amazon, Ikea, ihren fairen Anteil an den Steuern zahlen. Und ich glaube, das ist ganz wichtig. Es kann nicht sein, dass die genannten Konzerne in Deutschland fast nichts zahlen, irgendwo in einem Niedriglohnland ihre Steuern zahlen. Also das ist einfach unfair. Sie nutzen hier die Infrastruktur und sie müssen dann auch hier ihren fairen Anteil bezahlen. Es kann nicht sein, dass ein Arbeitnehmer, der 90.000 Euro verdient, schon Richtung Spitzensteuersatz geht und ein multinationaler Konzern hier in Deutschland im Null Komma Bereich Steuern bezahlt. Also da müssen wir auch ran und das geht natürlich auch nur mindestens europäisch, aber ich glaube, der Fairness halber müssen wir das einfach machen. Das ist mir ganz wichtig. 

Und was ein riesen Thema ist, ist eben Rente. So wie es jetzt ist, wird es weiter nicht laufen können. Die nächste Legislaturperiode ist die letzte, wo wir noch wirklich steuern können. Danach sind wir nur noch Getriebene. Die FDP hat vorgeschlagen, dass man einen Teil der Beiträge zur Rentenkasse in einen Staatsfond nach schwedischem Vorbild einzahlt. Also einen Aktienfond, der weltweit anlegt und die ersten zehn Jahre wird es Geld kosten, über die zehn Jahre circa 100 Millionen Euro, hört sich erstmal wahnsinnig viel an, aber am Anfang viel, es wird dann weniger und dann erwirtschaften diese Staatsfonds wirklich Geld und entlasten mittelfristig unser Rentensystem, damit wir die Beitragslast auch noch stemmen können. Und da müssen wir ran. 

Und einfach immer nur sagen: >Wir müssen länger arbeiten<, das ist der falsche Weg. Einen Dachdecker noch mit 70 auf das Dach zu schicken ist schon abenteuerlich. Deswegen wäre auch für mich wichtig, dass jeder selber entscheiden kann, wann er in Rente geht und nicht das Lebensalter wichtig ist, sondern vielleicht einfach die Zeiten, die er eingezahlt hat. Wenn jetzt jemand studiert hat, ich nehme mal einfach das Beispiel Rechtsanwalt, fängt er mit 28, 27 an, normal zu arbeiten. Der ist ja mit 65 oder 67 körperlich noch nicht kaputt. 

Aber wenn einer mit 14 anfängt in die Dachdeckerlehre zu gehen oder als Metzger zu arbeiten oder als Bäcker zu arbeiten, der ist natürlich mit 65 körperlich weitaus stärker beansprucht worden als eben jemand, der nur – das ist keine Wertung – am Schreibtisch sitzt. Und wenn ich zehn Jahre später angefangen habe zu arbeiten, kann ich auch ein bisschen länger arbeiten. Aber das muss jeder für sich selber entscheiden und das Kriterium ist einfach das: Jeder kann dann in Rente gehen, wenn er über Grundsicherungsniveau ist, das heißt, er nicht mehr der Allgemeinheit auf der Tasche liegt. Und dann kann er gehen.”

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Amei Schüttler
Amei Schüttler
Amei Schüttler ist Redakteurin bei den Oberberg-Nachrichten. Sie sitzt in unserer Zentralredaktion in Bergneustadt. Sie ist per Mail redaktion@oberberg-nachrichten.de für unsere Leser erreichbar.

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